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Das Ausmaß der Internet-Kriminalität ist nicht einmal erahnbar

Täter nutzen jede Schwachstelle gnadenlos aus, die Polizei kommt oft zu spät. Und manches Opfer spielt ein doppeltes Spiel und wird so zur leichten Beute.

Thomas Hofbauer

Leise und unauffällig: Verbrechen im Internet sind ein lohnendes Geschäft. Bei einem spektakulären Fall in diesem Jahr wurden in Deutschland 200.000 Computer binnen weniger Tage mit einem Virus infiziert. Sie versagten daraufhin ihren Dienst. Auf dem Bildschirm war nur noch eine "offiziell" anmutende Meldung zu sehen: Der PC sei im Zusammenhang mit Straftaten aufgefallen und deshalb gesperrt worden. Das Gerät könne gegen eine Zahlung von 100 Euro wieder entsperrt werden. Über 15 Prozent folgten und zahlten. Die meisten, ohne sich mit den Behörden in Verbindung zu setzen.

In Deutschland werden jährlich Zahlen zu Verbrechen im Internet vom BKA veröffentlicht. 2013 registrierte man 64.500 Fälle. Doch diese Zahl sagt wenig über das wahre Ausmaß an Vergehen aus. Jürgen Maurer, der mittlerweile pensionierte BKA-Vizechef, formulierte es noch kurz vor seinem Ausscheiden so: Das Dunkelfeld der Kriminalität im Netz sei nicht einmal erahnbar, das Problem sei deutlich größer, "als wir imstande sind, es darzulegen".

Wie kann es sein, dass Online-Kriminalität kaum geahndet wird? Daran ist nur zum Teil personelle Unterbesetzung bei den ermittelnden Behörden schuld. Eine absolute Schwachstelle in der Aufklärungskette sind die Opfer selbst. Denn egal ob eine Privatperson oder Unternehmen, der Gang zur Polizei bleibt oft aus. Der Grund: Ahnungslosigkeit und falsches Schamgefühl. Wird der Telebanking-Zugang gehackt, bemerken das die wenigsten sofort. Doch die Täter haben in wenigen Stunden alle Spuren verwischt. Und auch der Datendiebstahl in Firmen fällt oft gar nicht oder zu spät auf. Und wenn, dann reagieren Firmen sehr oft nicht - in der Hoffnung, dass es Kunden und Konkurrenz nicht bemerken. Man hat schließlich die eigene IT nicht im Griff. Darum wird vertuscht, wo es geht. Doch man verhindert dadurch auch, dass andere vor der drohenden Gefahr gewarnt werden. Schon länger wird eine Meldepflicht für Cyberattacken diskutiert.

Auch private Computernutzer sind da keinen Deut besser. Falsche Scham kommt oft ins Spiel, wenn Nutzer erpresst werden, weil sie angeblich Illegales auf der Festplatte speichern. Da ist tatsächlich nicht jedes Programm lizenziert. Und man bereut, den USB-Stick mit Musik und Filmen auf den PC kopiert zu haben, den ein Freund mitgebracht hat. Und auch der eine oder andere Ausflug auf Schmuddelseiten hat sicher Spuren hinterlassen. Man bereut und hofft, dass diese kleinen Sünden durch das Einwerfen kleiner Scheine zwar nicht ungeschehen, aber zumindest ungesehen gemacht werden. Ungesehen vom Partner, der Polizei und dem Computerhändler, der jetzt zwar helfen könnte, sich aber auch für die illegale Software auf dem Rechner interessiert. Was sind schon 100 Euro, wenn man sich dadurch ein paar unangenehme Fragen erspart oder gar einer höheren Strafe entkommt.

Solange Private wie Firmen schweigen und auf Schweigen hoffen, wird es unmöglich sein, den Gangstern das Handwerk zu legen.