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Ich will alles, und das sofort!

Maßlos ist sie, unsere digitale Welt, in der jeder alles haben kann. Oder steckt eine Notwendigkeit dahinter?

Thomas Hofbauer
Ich will alles, und das sofort!
Ich will alles, und das sofort!

Musik im Radio, schöne Musik. Die muss ich haben, doch ich sitze im Auto und kann nichts notieren. Verdammt, wie merke ich mir Titel und Interpret nur. Die Gedanken kreisen um die Möglichkeiten, die ich hätte, würde ich den Kaufimpuls spüren, während ich vor dem PC sitze oder am iPad surfe: ein Klick, gekauft und fertig. Doch auf der Autobahn habe ich keine Gelegenheit, an den Straßenrand zu fahren.

Zwanzig Minuten später, zu Hause angekommen, wird die Erinnerung an Titel und Interpret vermutlich weg sein. Wenn ich Glück habe, werde ich mich noch darauf besinnen, dass ich den Wunsch hatte, frische Musik zu kaufen. Unzählige andere Töne, Nachrichten, Werbebotschaften und Bilder werden sich vorgedrängt haben. Sie werden meinen Blick auf das, was ich will, verstellt haben. Unbehagen mischt sich dann mit der Ahnung, dass da noch etwas gewesen wäre, was mir wichtig war. Was war es nur? Ich könnte alles wissen, kaufen, lesen, hören und sehen. Ein Klick auf dem Smartphone oder Tablet würde genügen und es wäre da, dank Digitalisierung. Aber ich weiß nicht mehr, was ich wollte.

In diesem Moment wird klar, dass hinter dem überall propagierten "alles haben können, und zwar sofort" keine Maßlosigkeit steckt. Es ist viel harmloser. Es ist der schlichte Kampf um Aufmerksamkeit. Früher hat man gespart und geträumt, heute hat man es gekauft oder vergessen. Würde man allen Impulsen nachgeben, die man über den Tag verspürt, man hätte nicht die Zeit, auch nur einen Bruchteil vom Gekauften zu konsumieren. Darum müssen wir ständig Kaufimpulse unterdrücken, müssen echte Bedürfnisse von eingeredeten unterscheiden, wenn wir nicht im Armenhaus landen wollen. Eine Kaufentscheidung zu treffen ist schwierig geworden. Zu oft hat man danebengegriffen. Unlust war die Folge und Konsumverweigerung. Das will die Industrie nicht.

Für den Bereich der Unterhaltung gibt es mit dem Streaming-Abo eine neue Lösung. Unzählige Musikstücke, Filme und Serien sind online verfügbar. Knapp zehn Euro im Monat kostet der Videodienst Netflix oder die Musik auf Spotify. Auch Amazon will eine Flatrate für E-Books anbieten. Das ist eine effektive Waffe. Gegen die Bedenken der Zauderer, die keinen Fehler machen wollen und sich deshalb nie etwas gönnen. Und gegen die Probleme der Unersättlichen, die alles Neue brauchen, aber nicht in der Schuldenfalle landen wollen und sich bisher mit Raubkopien eingedeckt haben.

Auch für die Vergesslichen erzeugt das Streaming-Abo das wunderbare Gefühl, im Prinzip alles zu haben, auf Knopfdruck, ohne Extrakosten und vollkommen legal. Man müsste sich nur noch daran erinnern, was man hören oder sehen wollte.