Nach Kaiserreich, Nazizeit nun also ein Zeitsprung in das Jahr 1961: Die dritte Staffel der Serie ARD-"Charité" spielt in Berlin zu jener Zeit, in der die Berliner Mauer gebaut wurde. Im Zentrum der Geschichte steht die junge Ärztin Ella Wendt (Nina Gummich), die an das älteste Krankenhaus Berlins versetzt wird. Die Ärztin soll nach der Abwanderung zahlreicher Mediziner und Pflegerinnen von der DDR nach Westdeutschland die Gesundheitsversorgung in der Charité sicherstellen. Zudem forscht sie auf dem Gebiet der Krebsfrüherkennung - eine Konsequenz des Krebstodes ihrer Mutter. Anders als die fiktive Figur der Ella Wendt sind ihre Arztkollegen historisch verbürgt: Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf), der Gynäkologe Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und der Serologe Otto Prokop (Phillip Hochmair).
Große Gefühle und ebensolche politischen Umwälzungen: Die dritte Staffel kann die Qualität ihrer Vorgänger weitgehend halten, auch wenn so manches Klischee pointiert und überspitzt zum Einsatz kommt. Der Kalte Krieg liegt wie ein Schatten über den bisweilen eindringlich, ja melodramatisch geschilderten Krankengeschichten, zudem befinden sich die Mediziner in einem Wechselbad der Gefühle, mischen sich doch Vertreter der Sozialistisches Einheitspartei Deutschlands immer stärker in den Krankenhausbetrieb ein. Eben erst eine Ideologie, die ins Verderben geführt hatte, überwunden, jetzt wartet schon die Nächste. "Die Wissenschaft ist die einzig verlässliche Konstante", sagt die aus Österreich stammende Gerichtsmedizin-Koryphäe, die bald schon - wenn der menschenverachtende "Antifaschistische Schutzwall" errichtet ist - nach West-Berlin fahren muss, um Penicillin für Todkranke zu besorgen.
Leichenschau-Protokolle für die Nachwelt
Viele Ärzte und Pflegerinnen sind bereits in den Westen geflohen, doch die Verbliebenen trotzen den immer schwieriger werdenden Bedingungen: Medikamente fehlen ebenso wie Röntgenfilme, Verbandsmaterial oder sterile Handschuhe. Das führt dazu, dass die Ärztin Wendt entscheiden muss, welchem Patienten das lebensrettende Antibiotikum verabreicht wird - eine Parallele zu schwerwiegenden Entscheidungen in der Coronakrise. Auch das Impfthema von einst (Polio) hat durch die Pandemie Aktualität. Indes landen erste Menschen, die bei Fluchtversuchen ermordet wurden auf dem Seziertisch von Prokop, der Mediziner fertigt von den beschlagnahmten Leichenschau-Protokollen heimlich Kopien an und verwahrt sie in einem Tresor für die Nachwelt.
Wie schon in den ersten Staffeln lohnt es sich auch diesmal, sich mit den historischen Persönlichkeiten näher zu beschäftigen: Etwa mit der innovativen Kinderärztin Ingeborg Rapoport (1912-2017), die weiland als erste Professorin für Neonatologie an der Charité wirkte. Der Frau war einst als Jüdin der Doktortitel verweigert worden. Sie emigrierte 1938 in die USA und kehrte schließlich nach Ost-Berlin zurück. Im Alter von 103 (!) Jahren konnte sie schließlich promovieren. Nina Kunzendorf, man kennt sie als Ex-"Tatort"-Kommissarin, spielt dieses faszinierende Frauenschicksal eindrücklich. Die dritte Staffel der Serie "Charité" ist eine freilich oberflächliche, aber handwerklich exzellent gemachte, kurzweilige Fernsehunterhaltung, die Lust macht, sich mit der politischen und medizinischen Geschichte näher auseinanderzusetzen.
Mit einer vierten Staffel wird wohl zu rechnen sein. Angeblich soll es keinen Zeitsprung ins Jahr 2020, also ins Coronazeitalter von und mit dem Charité-Virologen Christian Drosten, geben. Vielmehr soll eine Reise in die Zukunft, ins Jahr 2049 bevorstehen. Klingt interessant. Ist aber auch riskant.