Gehen hilft beim Denken. Das lässt sich spüren. Und das bestätigt auch der Kernspintomograf. Mit so einem fanden Wissenschafter der University of Pittsburgh heraus, dass das Hirn mit dem Gehen wächst. Je länger die Strecken sind, desto größer wird das Denkorgan. Jedenfalls bei normal weiten Distanzen, ein paar Kilometer, halbe Stunde, Stunde pro Tag. Für Extrem-Langgeher, die sich einbilden, zu Fuß zur Antarktis zu müssen oder die größten Wüsten zu durchqueren, habe ich nicht herausgefunden, ob das mit dem Hirnwachsen auch bewiesen worden ist.
Nun preist mir eine Aussendung ein Buch an, in dem es um Spaziergänge geht. Beschrieben seien darin "entschleunigte Spaziergänge", steht da. Da bremst mich der Gedanke, dass ich - wenn ich gehe, statt zu rennen - es doch immer entschleunigt tue. Am meisten entschleunige ich beim Schlendern. Oder beim Bummel. Schon im weichen Klang dieses Wortes steckt eine Entspannung. Da brauche ich dann oft gar nicht mehr aufbrechen. Sogar beim Wandern geht es gegen die Hektik des Alltags, obwohl das Wandern doch recht oft sogar ins Sport liche abdriftet.
In meinem privaten Gebrauch kommt das Wort "Spazieren" übrigens nicht vor. Ich wehre mich sogar, wenn jemand vorschlägt, er werde eine Runde spazieren gehen. "Spazieren" klingt nicht so, als könnte sich dabei das Hirn weiten. Spazieren klingt überhaupt nicht nach dem, was es vorgibt zu sein. Das Wort hat Schärfe. Da schwingt mit, dass man etwas zielgerichtet erledigen wird. Einmal durch die Stadt spazieren tut man, weil's dann Kuchen bei der Oma gibt. Spazieren ist eine Familienangelegenheit. Flott. Zackig. Organisiert. Spazieren, das klingt so deutsch. So deutsch wie Goethe. Und man kann ja sagen, dass der Goethe den Spaziergang erfunden hat. Jedenfalls lässt der Goethe den Faust zu Ostern spazieren. Zuerst wollte sich dieser Faust umbringen. Dann geht er hinaus vor die Stadt. Dort spaziert er auf schnee- und eisbefreiten Wegen. Und was hat er davon? Es rennt ihm dieser Pudel über den Weg. Beim Weiterlesen kommt man zur Erkenntnis, dass aus dem Pudel eine teuflisch gefährliche Sache wird. Hunde bringen beim Spazierengehen oft etwas durcheinander. Und wenn einer auf mich zurennt, ereignet sich - egal wie oft sein Herrl schreit: "Der tut eh nix" - in mir keine Entschleunigung. Da flüchte ich ins Gegenteil.
So kommt ein Buch mit der Anleitung für "entschleunigte Spaziergänge" gelegen. Es geht darin gar nicht ums Spazierengehen. Es geht ums Stehenbleiben, ums Schauen. Die Anleitung zu dieser Entschleunigung kommt von Clemens M. Hutter, ehemals Redakteur dieser Zeitung. Über unzählige Details und Kuriositäten, über Geschichte und Geschichten, die an verschiedenen Wegen durch Salzburg liegen, erzählt Hutter. Das "Spazieren" ist dafür eine gute Art der Bewegung. Es gibt Ziele, Orte des Staunens und der Erkenntnis. Und es passiert quasi Bewegung mit Hirn. Gehen, um mitzudenken also. "Entschleunigt" scheint mir als Attribut für dieses Spazieren trotzdem unpassend.

