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Art-Brut-Künstlerinnen im Wiener Kunstforum

Sie sind die Outsider unter den Outsidern: Künstlerinnen der Art Brut. Im Wiener Kunstforum ist ihrem ungewöhnlichen Werk - entstanden in psychiatrischen Kliniken, in der Abgeschiedenheit zurückgezogener Existenzen, jedenfalls abseits des akademischen Mainstreams - nun eine weltweit einmalige Ausstellung gewidmet. "Flying High" ist ab Freitag zu sehen.

Noch nie hat sich jemand spezifisch für die Frauen innerhalb der Art Brut interessiert, "vieles ist überhaupt nicht aufgearbeitet", so Hannah Rieger, gemeinsam mit Ingried Brugger Kuratorin der Schau und selbst Art-Brut-Sammlerin, im Gespräch mit der APA. Auch in der Kunst am Rande der Gesellschaft ist die Frau noch einmal eine Randerscheinung für sich. Das hierzulande gut bekannte "Haus der Künstler" in Gugging war lange eine reine Männerinstitution. Mit Laila Bachtiar, die heute dort im Atelier arbeitet, ist in der Schau eine zeitgenössische "Gugginger" Künstlerin vertreten - eine von zehn Österreicherinnen, eine von hier ausgestellten 93 Künstlerinnen aus der ganzen Welt.

Von Südamerika bis Japan - Art Brut, der unmittelbare künstlerische Ausdruck jener, die durch psychiatrische Erkrankungen oder geistige Behinderungen weder Ausbildung noch Interesse an Moden und Märkten und oftmals eingeschränkten Zugang zu Materialien haben, ist eine Universalie. Nicht überall wird sie gefördert, gesammelt, ausgestellt. "Es gibt zwei Gruppen von Menschen, die sich historisch für Art Brut interessiert haben", so Rieger: "Die Psychiater. Und die Künstler." Erstere, weil sie sich aus den Werken Aufschlüsse über die Wahnvorstellungen, die Besessenheiten und Abspaltungen ihrer Patienten erhofften. Die Künstler, weil sie darin Inspiration fanden. Eine Unverfälschtheit durch Schulen und Strömungen, den Zug zu individuellen, originellen Sprachen und höchst persönlichen Mythen. "Die moderne Kunst würde es ohne die Art Brut nicht geben", sagt Rieger.

Für die Ausstellung, die mehr als 300 Werke umfasst, hat man sich an vier der historisch wichtigsten Art-Brut-Sammlungen orientiert - darunter jene der Psychiater Walter Morgenthaler aus Bern und Hans Prinzhorn aus Heidelberg sowie die des Art-Brut-Namensgebers Jean Dubuffet aus Lausanne. Dubuffet, der den Begriff 1945 ins Leben rief, machte in seinem Interesse keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern - im Hauptsaal können daher zahlreiche Meisterinnen-Werke aus seiner Kollektion ausgestellt werden. Die bekannteste Vertreterin der Art Brut, Aloise Corbaz (1886-1964) mit ihren farbintensiven, theatralen Abhandlungen über Liebe, Sexualität und Sehnsucht, findet sich hier ebenso wie eine Madge Gill (1882-1961), deren riesenhafte, mit filigranen Musterungen durchzogene Papier- und Textilrollen mit einer Unzahl an Frauengesichtern nicht nur dann tiefen Eindruck hinterlassen, wenn man um ihre Überzeugung weiß, von einem Geist "geführt" zu werden.

Die Debatte darüber, ob der biografische Kontext und Informationen zur psychischen Verfasstheit dieser Künstlerinnen in einer Ausstellung anzuführen ist, wird in der Art-Brut-Szene mit Vehemenz geführt. Viele möchten die Kunst für sich sprechen lassen, sie nicht "relativieren" durch ihre besondere Entstehung. Doch viele Werke, wie ein gehäkeltes Essenstablett von Hedwig Wilms, mit filigranen Gefäßen darauf, entfalten ihre emotionale Sprengkraft erst, wenn man weiß, dass die Künstlerin über Jahre zwangsernährt wurde, ehe sie 1915 mit einem Körpergewicht von nur 29 Kilogramm starb. Nur auf Fotografien erhalten ist eine Installation, die Marie Lieb 1894 aus Stoffstreifen, gerissen aus ihrem Bettzeug, am Boden ihrer Klinik-Zelle anordnete.

Im Kunstforum hat man sich entschieden, eine Broschüre mit Biografien der Künstlerinnen aufzulegen. "Auch aus Respekt vor ihnen als Persönlichkeiten", sagt Rieger. Art Brut boomt, nicht zuletzt seit ihr ein Special bei der Kunstbiennale Venedig im Jahr 2013 gewidmet war. Spezialmuseen sprießen "wie Schwammerl", sagte Rieger. Doch in den allgemeinen musealen Institutionen der zeitgenössischen Kunst, da wo die Liebhaber routinemäßig hinpilgern, ist sie immer noch selten zu finden. Und schon gar nicht die der Frauen.

Dass gleichzeitig im Unteren Belvedere die "Stadt der Frauen", über die vernachlässigten Protagonistinnen der Wiener Moderne gezeigt wird, ist eine Koinzidenz mit Mehrwert: Beispielsweise kann man das Werk von Emilie Mediz-Pelikan, professionelle österreichische Malerin zum Ende des 20. Jahrhunderts, vergleichen mit jenem ihrer Tochter Gertrude Honzatko-Mediz. Diese war überzeugt davon, vom Geist ihrer früh verstorbenen Mutter "geführt" zu werden. Die Ähnlichkeiten ihrer ausdrucksstarken Gesichtsstudien sind tatsächlich frappant.

(S E R V I C E - "Flying High. Künstlerinnen der Art Brut. Von 15. Februar bis 23. Juni, täglich 10 bis 19 Uhr, Freitag 10 bis 21 Uhr. www.kunstforumwien.at )

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