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Oscar-Nacht: Einschlafen in Hollywood

Keine Revolution durch Netflix-Produktion "Roma". Und sonst: Fade Ausgewogenheit, damit keiner weinen muss.

Bernhard Flieher

Großes Kino, sagt man. Und dann das! Einschlafprogramm. An den Filmen lag es nicht, dass sich heute niemand muss, falls die Oscar-Nacht verschlafen wurde. Es lag an der Oscar-Nacht selbst. Sie war charmelos. Das lag vielleicht daran, dass es keinen Moderator gab. Es fehlten also auflockernde Bösartigkeiten und politische Bissigkeit. Der Moderator wurde eingespart, damit die Sendezeit auf drei Stunden beschränkt werden konnte. Das soll helfen die Talfahrt der Einschaltquote zu bremsen. Aber auch ein Moderator hätte ja an den Entscheidungen der Acadamy nichts ändern können. Und diese Entscheidungen waren langweilig.
Um das nicht falsch zu verstehen: Keineswegs hat es die Falschen getroffen. "Green Book" ist sicher ein würdiger "bester Film" des Jahres. Die Hauptdarsteller Rami Malek (als Queen-Sänger Freddie Mercury in "Bohemian Rhapsody", der Film wurde insgesamt viermal geehrt) und die Britin Olivia Colman für ihre Verkörperung der englischen Königin Anne in der Historiengroteske The Favourite, sind würdige Preisträger. Für die Nebendarsteller Regina King ("If Beale Street Could Talk") und Mahershala Sali ("Green Book") gilt das auch. Und für den großen Favoriten "Roma" - zehn Nominierungen - hat es auch drei Auszeichnungen gegeben, darunter jene für die beste Regie. Und außerdem wurden niemals zuvor mehr afro-amerikanische Protagonisten geehrt (sechs).
Fad war, dass Hollywood sich in dieser Nacht wieder einmal an ein alten Gesetz hielt und umsetzte, wofür Hollywood immer wieder einmal gut ist: Großes Kino in seiner schlimmsten Form. Mit "großes Kino" ist ja immer schon nichts anders gemeint als lähmender, kleinster gemeinsamer Nenner. In Hollywood - und vor allem in der Oscar-Nacht heißt das: Bloß keine Wellen, bloß kein Risiko, ein bisschen Ruhm für alle. Dann muss keiner weinen. Revolutionen sind in so einem Programm selten vorgesehen.
Und selbst die ein bisschen angekündigte Revolution wegen Netflix als Produktionsfirma des Streifen "Roma" fiel lau aus - oder besser noch: entfiel. Drei Oscars gab es für den großen Favoriten, der als erster Film von Netflix für die Oscars nominiert war. Das ist deshalb so interessant, weil Netflix grundsätzlich kein klassisches Filmstudio ist, sondern zunächst als Streamingplattform startete.
Längst aber wird ja auch bei Netflix produziert. Mit seinen Serien macht Netflix außerdem längst Furore. Und unter den Filmstudios ist Netflix als Produzent ohnehin auch gut im Rennen und in die Motion Picture Association of America wurde man auch schon aufgenommen. Und gar so aufregend wie im Vorfeld getan wurde ist die Sache gar nicht, jedenfalls nicht, wenn es bloß um die Produktion von Filmen geht. Anders sieht es für die Zukunft mir der Verwertung der Filme aus. "Roma" wurde nur kurz im Kino gezeigt und lief dann eben auf der Streamingplattform. Netflix, wo als nächstes der Streifen "The Irishman" von Martin Scorsese ansteht, hielt sich nicht an die Abmachung, wonach in den USA Film erst drei Monate im Kino laufen müssen, ehe sie auf anderen Kanälen gezeigt werden dürfen. Manche Kinoketten boykottierten den Film deshalb. Macht das Schule, wirkt sich das auf die Verwertung der Film aus, sprich: unter anderem auf die Einnahmen der Kinos aus. Und dieses Modell scheint Schule zu machen. Denn längst planen auch die traditionellen Studios wie Warner oder Disney den Einstieg in das Streaminggeschäft. Großes Kino wird es also weiterhin geben. Die Frage wird nur sein, wo wir sie sehen werden. Eine größere Aufregung um dieses Thema wurde in der Oscar-Nacht vermieden. Gut also, dass die Oscar-Nacht kein Film ist. Die Kinos wären leer geblieben.

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