Zum zweiten Mal hat Fiston Mwanza Mujila, der in Graz lebende kongolesische Autor, eine Bar zum Mittelpunkt eines Werks gemacht, und zum zweiten Mal widersteht ein Theater bei der Umsetzung den Verlockungen des Naturalismus. Wohl aus gutem Grund. Schon die in einer afrikanischen Minenstadt gelegene Bar "Tram 83" war in seinem französischsprachigen gleichnamigen Erfolgsroman so dicht und packend geschildert worden, dass man als Theater wohl nur abstinken könnte. Also versuchte man beim steirischen herbst bei der Bühnenfassung gar nicht erst, dieses Herz der Finsternis atmosphärisch nachzubilden. Die New-Jersey-Bar, Schauplatz des auf Deutsch geschriebenen ersten Stücks Mwanza Mujilas, ist nun ein Zufluchtsort von Gestrandeten. Die Gäste kommen von überall her. Die treffendste Ortsangabe ist wohl: in the middle of nowhere.
Hauß hat richtig erkannt, dass es in dem Stück keinen eigentlichen Plot gibt. Es geht um Geschichten, die in der Bar erzählt werden, und es geht um einen inneren Zusammenhalt, der in Sprechmelodie des Textes und im Rhythmus der aufeinanderfolgenden Episoden begründet ist. Mwanza Mujila betont gerne, dass Jazz eine seiner Inspirationsquellen sei. Die Künstlichkeit der Bühnensituation wird ausgestellt, die drei Musiker Elena Todorova, Patrick Dunst und Christian Pollheimer an E-Gitarre, Saxofon und Schlagzeug sind ständig präsent, wenngleich nicht immer in Aktion.
Das Darsteller-Quintett hat prägnante Kostüme verpasst bekommen und jeder zumindest eine gute Geschichte zu erzählen. Markus Hering im Fatsuit unterm blauen Polo-Shirt könnte der Barbesitzer sein und berichtet von einer mystisch-mörderischen Monsterschlange. Sven Dolinski und Simon Jensen sind in Frauenkleidung Beispiele jener leichten und leichtlebigen Damen, um die "Zu der Zeit der Königinmutter" alle Barbesucher balzten.
Mirco Kreibich hat den dankbarsten Part. Er darf der geheimnisvolle Fremde sein, der sich bitter darüber beschwert, hier nur ein "Bier ohne Namen" (und nicht etwa ein Gösser oder Puntigamer) vorgesetzt zu bekommen, der gegen den Lokalmatador beim Kartenspiel gewinnt und eindrucksvoll die Geschichte eines aus Lehm geborenen jungen Mann zum Besten gibt, der die Warnungen seiner Eltern ignorierte und sich im Gewitterregen auflöste. Gertraud Jesserer in blauer Mütze erzählt von der Königinmutter, die hier einst fürsorgliche Integrationsfigur war und genau wusste, welchen ihrer Gäste sie einmal ermorden werde. Nach 80 Minuten ist die Königinmutter tot und der Abend recht unvermittelt aus.
"Zu der Zeit der Königinmutter" ist eine mit Musik untermalte Beweisführung über die Macht des Storytelling. Mehr Pop als Jazz. Mehr Lehrstunde als Sternstunde. Lange und wohlwollender für Team und Autor bei der Premiere am Samstagabend.