Die Rührung war ihm anzumerken. Und Hermann Nitsch hatte auch Grund dazu. Er stand in einem ehemaligen Industriegebäude in Mistelbach. Und aus dem Gebäude war - auch mit vielen öffentlichen Mitteln - ein Museum geworden. Ein Museum für ihn, für einen, der für seine Kunst auch im Gefängnis gesessen ist. Und dann, es war im Jahr 2007, wurde ein eigenes Museum für ihn eröffnet. Und es wird damit einer gewürdigt, der zu den bedeutendsten bildenden Künstlern Österreichs der vergangenen Jahrzehnte zählt.
Nitsch machte den Begriff eines "Gesamtkunstwerks" anschaulich
Rund 140 "Aktionen" hat Nitsch, der am Ostermontagabend im Alter von 83 Jahren gestorben ist, aufgeführt. Zuletzt hatte er im vergangenen Jahr bei den Bayreuther Festspielen noch eine konzertante Version von Wagners "Walküre" mit riesigen Schüttbildern und Bodenbildern begleitet. Diese Bilder sind auch noch bis September im Nitsch-Museum zu sehen. Bis zum eigenen Museum sowie nach Bayreuth und zur Arbeit in anderen gediegenen Kunsttempeln war es ein weiter Weg - ein harter Weg war es, als einer wahrgenommen zu werden, der sich nicht auf eine Disziplin beschränkt. Nitsch war Maler und Dirigent, Schriftsteller. Er war Festgastgeber und einer, der den Begriff eines "Gesamtkunstwerks" anschaulich werden ließ - und damit zeitlebens im Sinn der Wiener Aktionisten arbeitete, ja, der unbeirrbar auf einem Weg ging, der die Idee dieser Aktionisten fortführte.
Zunächst war er - geboren 1938 in Wien - nach Abschluss der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt zwischen 1952 und 1958 als Gebrauchsgrafiker bei der Stadt Wien tätig.
In den 1960er-Jahren war Nitsch als Teil der Wiener Aktionisten noch mit der Öffentlichkeit in Konflikt geraten. "Intensität und Furchtlosigkeit und eben nicht Rücksicht nehmen auf staatliche oder politische und religiöse Regelungen. Das zu machen, was wichtig scheint. Und zurzeit gibt es eher sehr harmlose Kunst. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen widersprechen", fasste Nitsch vor drei Jahren einmal sein Credo zusammen.
Einsatz von Blut oder Eingeweiden wurde als Provokation statt als Kunst empfunden
Dass seine Arbeit zunächst als Provokation empfunden wurde, war nicht weiter verwunderlich. In der angeblich heilen, sich von den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs endlich erholenden Gesellschaft wurde der künstlerische Einsatz von Blut, Tierkadavern oder Eingeweiden als Provokation statt als große Kunst empfunden. Gotteslästerung war ein Vorwurf, weil auch oft mit religiösen Metaphern und biblischen Bildern gearbeitet wurde. So kamen Nitsch und auch Mitstreiter mit geltenden Gesetzen in Konflikt. Er wurde auch für mehrere Wochen inhaftiert. So heftig die Kritik und das Unverständnis in der Öffentlichkeit waren, so sehr drang die Gewichtigkeit der Arbeit langsam in die Kunstwelt vor. Zum Leben reichte es aber längst noch nicht.
"Orgien Mysterien Theater" - Schloss Prinzendorf als Zentrum von Nitschs Arbeit
"Ich hab die erste Hälfte meines Lebens von meinen Frauen gelebt", sagte Nitsch einmal in einem Interview. Im Ausland wurde Nitsch langsam erfolgreich, während er als Prophet im eigenen Land noch nichts zählte. Er war 1972 auf der documenta vertreten, in London wurden Werke ausgestellt, in New York, für zeitgenössischen Kunstanspruch damals der wichtigste Ort, wurde seine Arbeit gezeigt. Zu Hause kaufte er - übrigens mit Hilfe seiner Frau Beate - in der niederösterreichischen Provinz das Schloss Prinzendorf, das er ab 1971 zum Zentrum seiner Arbeit machte, wo sein "Orgien Mysterien Theater" einen Platz fand. 1998 fand dann ein sechstägiges Spiel statt. Nitsch sah es als den Höhepunkt seines Schaffens, ein Ereignis, auf das alles zulief, was er je gemacht hatte. Da floss alles zusammen: bildende Kunst, Musik, Performance. Ein großes Theater, das barock und zeitgenössisch war, das radikal war und dennoch auf alten Ritualen des Abendlands basiert. In einem seiner Bücher beschreibt Nitsch die Grundintention seiner Arbeit damit, dass sie zunächst Ekel und Abscheu provoziere, dann aber eine Katharsis auslösen solle. Diese Arbeit fand schließlich weltweites Echo - doch auch die Kritik riss nie ab, etwa von Tierschützern.
Der Schock sei dabei nie sein Sinn gewesen, sagte Nitsch einmal. Intensität habe er auslösen wollen. Das hat Nitsch in vieler Hinsicht geschafft.