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Filmfestspiele vor dem Finale: In Venedig gesehen werden und sterben

Gegen Festivalende wird es politisch: Zwei Flüchtlingsdramen sind in Venedig große Favoriten für den Goldenen Löwen.

An der Grenze: Regisseurin Agnieszka Holland präsentiert in Venedig den Wettbewerbsfilm „Green Border“.
An der Grenze: Regisseurin Agnieszka Holland präsentiert in Venedig den Wettbewerbsfilm „Green Border“.

"Ich sehe die politische Entwicklung in meinem Land mit großer Besorgnis. Die Rechten haben generell ja wenig Ahnung von Kultur. Das ist ja auch Teil ihrer Weltanschauung." Italiens Superstar Toni Servillo ("La Grande Bellezza") blickt im Interview sorgenvoll in die Zukunft. Auch der chilenische Regisseur Pablo Larraín findet deutliche Worte: "Der Faschismus wird in vielen Ländern wieder salonfähig."

Beide präsentieren in Venedig Wettbewerbsbeiträge mit durchaus politischem Inhalt: Toni Servillo das Mafiadrama "Adagio", in dem "Suburra"-Regisseur Stefano Sollima erneut mit korrupten Machtstrukturen in seiner Heimatstadt Rom abrechnet. Und Pablo Larraín die Groteske "El conde", in der er den chilenischen Diktator Augusto Pinochet als Vampir darstellt.

Beides sind durchaus solide, spannende und gut gemachte Filme - in den Kreis der Favoriten gerechnet werden sie allerdings eher nicht. Bis auf ein paar wenige prominente Ausreißer wie Luc Bessons albernen "Dogman" oder Sofia Coppolas nichtssagende "Priscilla" ist das Niveau nämlich heuer durch die Bank überraschend hoch.

Einer der ganz großen Ausreißer nach oben ist Agnieszka Hollands Wettbewerbsfilm "Zielona granica - Green Border", der sich mit den Menschenrechtsverletzungen an der Grenze zwischen Polen und Belarus (ehemals Weißrussland) befasst. Über diesen unübersichtlichen Grenzabschnitt wagen Tausende Geflüchtete aus Asien und Afrika den Weg in die EU. 2021 begann der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, diese Tatsache gegen das "feindliche" Polen zu nutzen und Geflüchtete aktiv einzuladen - was wiederum die polnische Seite zu brutalen sogenannten Pushbacks veranlasste, also menschenrechtswidrigen Rückführungen über die EU-Außengrenze ohne Behandlung der Asylanträge, die Tausende Todesopfer forderten und fordern.

Was schon in nüchternen Worten furchtbar klingt, wird unerträglich, wenn man via Agnieszka Hollands Film genau hinsehen muss. Sie erzählt in hartem Schwarz-Weiß die Geschichte einer Gruppe Geflüchteter, frierend, hungrig und verzweifelt, die an der Grenze von polnischen und belarussischen Grenzsoldaten hin- und hergeschickt wird, mit eskalierender Grausamkeit.

Das Ende des Films ist sehr, sehr vorsichtig optimistisch - die Reaktion des polnischen Rechtsaußen-Justizministers Zbigniew Ziobro, der den Film via Twitter mit antipolnischer Nazipropaganda verglich, macht dies jedoch gleich wieder zunichte.

Etwas weniger unbarmherzig ist die Flüchtlingsgeschichte "Io capitano" des italienischen Regisseurs Matteo Garrone ("Gomorrha"): Hier begleiten wir den 16-jährigen Senegalesen Seydou auf der Reise von Dakar nach Sizilien. Anfangs ist Seydou voller Hoffnung und Abenteuerlust, er will seiner bitterarmen Familie ein besseres Leben ermöglichen - doch mit jedem Abschnitt seiner Odyssee wird er seiner Illusionen beraubt.

Und doch ist es eine Heldenreise, die ihn vom naiven Buben zum charakterstarken Erwachsenen macht, auch wenn der Ausgang ebenfalls traurig stimmt: Jener junge Mann, dessen - reale - Geschichte das Vorbild für den letzten Akt von Garrones Film ist, konnte nicht selbst zum Festival anreisen, weil es seinen Aufenthaltsstatus in der EU gefährdet hätte. Den Applaus bekam er nur aus der Ferne.

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