Ein mächtiger Mann mit mächtigem Bauch und mächtigem Hunger auf Frauen, eine Vergewaltigung, ein Gerichtsfall und eine Ehefrau, die ihren Mann liebt, obwohl er sie verraten hat: "Welcome to New York", Abel Ferraras Film über den Fall des früheren Chefs des Weltwährungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, hatte am Wochenende in Cannes Premiere. Gérard Depardieu spielt den eitlen, sexsüchtigen, kranken Devereaux, der deutlich auf Strauss-Kahn beruht, obwohl dem Film ein Interviewausschnitt vorangestellt ist, in dem Depardieu sagt: "Ich mag ihn nicht. Und er interessiert mich auch nicht", sowie eine rechtlich wasserdichte Formulierung, der Film sei lediglich inspiriert von den Ereignissen um die Vergewaltigung und den Gerichtsfall Strauss-Kahn. Das Drehbuch stammt von Chris Zois, einem früheren Psychiater.
Devereaux' Ehefrau, die zu retten versucht, was zu retten ist, wird von Jacqueline Bisset dargestellt. Gérard Depardieu spielt einen Mann ohne Hemmungen und ohne schlechtes Gewissen: Nach der Vergewaltigung des Zimmermädchens, die eindeutig, aber ohne Voyeurismus inszeniert ist, sorgt er sich auf dem Weg zum Flughafen nur um seinen vergessenen BlackBerry, während die Vorbereitungen zu seiner Verhaftung schon laufen.
"Welcome to New York" wurde nicht zum Festival eingeladen, der Film wurde lediglich vor ausgewählten Journalisten und Branchenvertretern in drei Kinos gezeigt, und ist nun über Bezahlfernsehen und Onlineanbieter (Sky Select und iTunes) auch in Österreich zu sehen. Ursprünglich war Ferraras Film als Wettbewerbsbeitrag erwartet worden, die Ablehnung habe aber keine politischen Hintergründe, sagte der Regisseur in Cannes im SN-Interview: "Die mochten den Film einfach nicht. Aber das macht nichts, die Aufmerksamkeit bekommt er ja trotzdem."
Ein Teil der Aufmerksamkeit ist erwartungsgemäß feindselig: Im Interview mit dem Sender Europe 1 hatte Strauss-Kahns Anwalt Jean Veil gesagt, er werde Klage wegen Rufschädigung einreichen. Ferrara reagiert darauf gelassen: "Ich habe davon gelesen", sagt er im Gespräch lachend, "aber was wollen die einklagen? Was will er von mir, meine Gitarre? Ich hab sonst nichts."
"Welcome to New York" ist zum Teil an den realen Schauplätzen in New York gedreht, die Gefängnisszenen sind sogar mit tatsächlichen Polizisten inszeniert. Der Film sei eine Geschichte über "einen Süchtigen, über Selbstzerstörung und die Zerstörung seiner Familie. Ihm ist nicht klar, dass er süchtig ist, nicht einmal, als er ganz am Boden ist."
Er selbst habe jahrzehntelang mit seiner Alkohol- und Drogensucht gekämpft, sagt Ferrara, und sei erst seit wenigen Jahren clean. "Ich mache immer Filme aus meiner Perspektive und verstehe ihn, ich verstehe den Punkt, an dem er sich befindet. Ich verurteile ihn nicht, ich entschuldige ihn auch nicht. Aber solange er nicht erkennt, dass er süchtig ist, wird es ihm nicht gelingen, sich zu ändern. Dieser Typ ist wie ein Selbstmordattentäter, er agiert, als ob er Sprengstoff umgeschnallt hätte." Nicht immer ist im Gespräch klar, ob Ferrara vom ehemaligen IWF-Chef oder von der Filmfigur Devereaux spricht; für Depardieu hingegen war die Sache eindeutig, sagt der Regisseur: "Gérard redet nicht über Strauss-Kahn. Wenn man mit ihm über den Film spricht, geht es um King Lear, und um griechische Tragödie." Ferrara gelingt mit "Welcome to New York" ein überraschend ausgewogenes Porträt eines exzessiven Mannes auf dem Weg nach unten; ein Film, der auch im Wettbewerb seinen Platz verdient hätte.