Der ungarische Berlinale-Siegerfilm "Körper und Seele" handelt von einer zaghaften Liebe in rauer Umgebung.
Sie ist eine Schweigsame, die sich schwertut mit anderen Menschen. Er ist ein Aufmerksamer, der andere genau beobachtet, und nur einen Arm hat. Sie fängt neu an als Fleischbeschauerin im Schlachthaus. Er ist der Direktor, und hat sie eingestellt. Doch ein Geheimnis verbindet die beiden: "Körper und Seele" heißt der Film von Ildiko Enyedi, der bei der Berlinale den Goldenen Bären errang und nun ins Kino kommt. In Wahrheit, erläutert Enyedi, handelt er von unfreien Menschen in einer modernen Arbeitswelt - und die sind fast so eingesperrt wie Schlachtvieh.
Warum spielt dieser Liebesfilm im
Schlachthaus? Ildiko Enyedi: Ich wollte einen Ort
finden, der für die durchorganisierten, unpersönlichen
Arbeitsumgebungen steht, in denen wir heute meistens zu tun haben.
Das könnte auch der Büroturm eines Konzerns sein, aber ich wollte
einen möglichst extremen Ort dafür finden. Und ein modernes
Schlachthaus passt sehr gut, weil es hier strenge Regeln gibt,
Hygiene und Sauberkeit sind wichtig, es gibt teure
Spezialmaschinen, jeder muss Schutzkleidung tragen, alles ist klar
geregelt, es gibt keine Grausamkeit. Eine Mauer bewahrt die Tiere
davor, ihre Vorgänger beim Tod zu sehen, das ist eine EU-Vorgabe -
und trotzdem: Was im Schlachthaus passiert, ist so fürchterlich wie
eh und je. Das illustriert, wie absurd die Extreme sind, die unser
modernes Leben umfasst.
Neben den domestizierten Schlachtochsen gibt es im Film Traumbilder von wilden Rehen. Was bedeutet dieses Gegensatzpaar? Es ist so herzzerreißend, was wir den Tieren für ein Leben bieten, die wir essen, auf engstem Raum, ohne den Hauch einer Möglichkeit zu sozialem Herdenverhalten. Dabei gibt es innerhalb einer Rinderherde normalerweise soziale Codes, Spannungen, sogar Humor. Und auch wir Menschen könnten ein ganz anderes Leben führen, aber die meisten von uns leben unter restriktiven Umständen: Alles ist geradlinig und ordentlich, jeder bekommt sein Gehalt und trägt Schutzhelm, aber ein erfüllendes Leben ist das nicht. Dabei kann Arbeit etwas so Bereicherndes sein - ich bin jetzt weit abgeschweift, aber damit meine ich die Rehe in diesem winterlichen Wald: Die haben zwar Schwierigkeiten, Nahrung zu finden, aber sie haben ein erfülltes Leben.
Genau diese Traumbilder verbinden Ihre beiden Protagonisten auf geheimnisvolle Weise miteinander. War diese Idee der Ausgangspunkt für das Drehbuch? Es waren eigentlich einige Zeilen eines Gedichts von Agnes Nemes Nagy, das ich liebe, und das geht etwa so: "Das Herz, eine flackernde Flamme aus Glut / das Herz, in mächtigen Wolken aus Schnee / doch innen, während Flocken versengen im Flug / glühn endlose Flammen einer brennenden Stadt." Ich kenne so viele Leute, die durchs Leben gehen, und keiner ahnt, was für unglaubliche Leidenschaft in ihnen tobt, was für Wunden da sind. Manchmal ist schon das normale Leben heroisch. Das war der Ausgangspunkt für den Film.
Als Maria im Schlachthaus zu arbeiten
beginnt, warnt ihr neuer Chef sie, dass manche Leute
zusammenbrechen, weil die Arbeit so fordernd ist. Woher kommt
das? Das ist eine Tatsache, dazu gibt es viel Literatur. Die
Arbeit im Schlachthaus ist fast wie Krieg. Wenn Leute unter
extremen Situationen leben und arbeiten müssen und keine mentale
Unterstützung bekommen, sind sie im Stande, Dinge zu tun, die sie
sich zuvor nie ausmalen konnten. Und das ist so ein Arbeitsplatz.
Der echte Direktor des Schlachthauses, in dem wir gedreht haben,
wählt seine Mitarbeiter sorgfältig aus. Und er beobachtet, wie sie
auf bestimmte Stresssituationen reagieren, etwa wie sie handeln,
wenn sie die Rinder über die Rampe ins Gebäude treiben müssen. Die
Arbeiter dort gehen mit einer natürlichen Sanftheit mit den Tieren
um, da ist fast etwas von einer Bruderschaft zwischen den Kreaturen
zu spüren. Ich habe das unglaublich beeindruckend gefunden, wie ein
altes Ritual: Du verfolgst das Tier, jagst es, tötest es, und
dankst ihm, dass es dich am Leben erhält. Spuren diesem uralten
Ritual waren da gegenwärtig unter den Arbeitern. Dabei denken die
darüber wahrscheinlich gar nicht nach, das ist einfach die Arbeit,
für die sie bezahlt werden.
Film: Körper und Seele. Drama,
Ungarn 2017. Regie: Ildiky Enyedi. Mit Alexandra Borbéli, Réka
Tenki, Geza Morcsányi. Start: 22. 9.