Berühmtsein tut weh - zumindest, wenn es die falsche Sorte Ruhm ist: Der Schauspieler Riggan Thompson (Michael Keaton) wurde vor vielen Jahren zum Star, als er in einem Comicfranchise den Superhelden Birdman spielte. Bis heute wird Riggan auf der Straße ausschließlich auf die Rolle in dem Blockbuster angesprochen; dass er später in sensiblen Arthousefilmen verschrobenen Charakteren Leben einhauchte, kratzt niemanden.
Nun macht er einen letzten Versuch, seriös bekannt zu werden: Am Broadway soll es sein, an einer Bühne, die für intellektuelles Theater bekannt ist. Hier soll morgen Abend seine Adaption von Raymond Carvers Kurzgeschichte "What We Talk About When We Talk About Love" Premiere feiern, mit Riggan selbst in der Hauptrolle und seiner Geliebten Laura (Andrea Riseborough) als Partnerin. Nach einem kurzfristigen Ausfall allerdings braucht er einen Ersatz für die andere große Männerrolle und muss widerwillig den hochtalentierten Egomanen Mike Shiner (Edward Norton) engagieren, der auf der Bühne nur echten Whiskey trinkt und am liebsten auch echten Sex mit seiner Freundin und Kollegin Leslie (Naomi Watts) will. Dann taucht noch Riggans Ex-Frau (Amy Ryan) auf und seine drogengebeutelte Tochter und Assistentin Sam (Emma Stone) ist offenbar trotz Entzugsklinik immer noch nicht clean. Zwischendurch begegnet Riggan in der Bar der gehässigsten Kritikerin der Stadt. Und zu allem Überfluss meldet sich sein Über-Ich mit der Stimme von Birdman und fordert ihn auf, diesen ganzen Dreck hinter sich zu lassen, immerhin sei er ein Superheld.
Die Scharmützel der Wirklichkeit sind verwoben mit jenen des Theaterstücks, dazu kommen superheldenhafte Spezialeffekte, die sich wie natürlich einfügen: Regisseur und Drehbuchautor Alejandro González Iñárritu ("Amores Perros") erzählt "Birdman" wie in einem Atemzug, ohne sichtbaren Schnitt, als die selbstbezogene Nabelschau einer Branche, bleibt aber dabei ungemein unterhaltsam. Der Film vibriert vor Vergnügen und streckenweise vor unterdrücktem Zorn, explodiert in Drama oder Slapstick, um sich wieder zu beruhigen, angetrieben von einem ständigen Schlagzeugrhythmus (der Schlagzeuger ist sogar manchmal im Bild). Es ist konstruiertes, postmodernes, ironisches Kino voller Metaebenen, mitreißend umgesetzt, das schon bei der Premiere in Venedig zum Lieblingsfilm von Publikum und Kritik wurde. Nun gilt "Birdman" mit neun Nominierungen als Oscarfavorit.
Besonders die Besetzung mit Michael Keaton ist ein Coup. Auch wenn Keaton das in Interviews gern leugnet, ist die berufliche Biografie von Riggan Thompson auch ein bisschen seine eigene: Keaton wurde einst als Batman ein Star, doch keine seiner folgenden Rollen hatte noch einmal diese Strahlkraft, er steckte fest in der Bedeutungslosigkeit des Mittelfelds von Hollywood. Dass Iñárritu ihn nun als Birdman/Riggan Thompson geholt hat, ist für Keaton genau jener Schritt ins respektable Rampenlicht, den er offenbar nicht mehr zu erhoffen gewagt hatte: Als er nun den Golden Globe für die Rolle bekam, erzählte er bei der Dankesrede tränenreich und ausführlich von seiner einfachen Herkunft, als habe er darauf seit Jahren gewartet.
Als Riggan Thompson gelingt ihm das Porträt eines Mannes in der Midlifekrise, witzig, verzweifelt und voller Hoffnung: Eine Rolle wie diese ist ein Geschenk an einen Schauspieler, und Keaton hat die Chance genutzt.
Film: Birdman (oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit). Tragikomödie, USA 2014. Regie: Alejandro González Iñárritu. Mit Michael Keaton, Emma Stone, Edward Norton, Naomi Watts. Start: 30. 1.