Zerstörte Landschaften um Fukushima, leere Kirchen, Schulen, Tierfabriken und Discos. In dem spektakulären Filmessay "Homo Sapiens" erkundet Nikolaus Geyrhalter Orte ohne Menschen. Was zu ihrem Verlassen geführt hat, wie die Natur sich diese Plätze zurückerobert, wo der Mensch den Planeten irreparabel beschädigt hat, erzählen diese Bilder ohne Worte.
SN: "Homo Sapiens" wirkt wie Science Fiction, nur halt am Tag nach der Katastrophe. War das Ihre Absicht?
Nikolaus Geyrhalter: Der Film ist so angelegt, dass man ihn als Erzählung verstehen kann, aber wenn man das nicht will, kann man sich neunzig Minuten lang auch nur verlassene Orte anschauen. Aber natürlich haben wir uns bemüht, dass das auch quasi wie eine Zukunftsvision zu lesen ist. Wir haben Orte gesucht, die in sich Geschichten erzählen. Nur leere Fabrikshallen sind langweilig, uns ging es darum, Orte zu zeigen, die sich selbst erklären, in denen noch etwas drinsteckt von der Einrichtung, davon, wofür sie einmal gedacht waren. Erzählung entsteht immer im Kopf, und hier ist es halt eine, bei der die handelnden Personen schon weg sind.
SN: Wonach haben Sie die Orte ausgewählt?
Was wir gesucht haben, sind Orte, die symbolisch für unsere Gesellschaft sind. Der Film porträtiert ja eigentlich unsere Zivilisation, und man spürt die Menschen ständig, gerade durch ihre Abwesenheit. Wir haben Orte gesucht, die auch als Zivilisationskritik funktionieren, wie Schlachthöfe, leerstehende Diskos, Einkaufszentren. Es war mir wichtig uns als Krone der Schöpfung ein bisschen vom Podest zu holen und Fragen aufzuwerfen: Müssen wir Tiere essen? Müssen wir Kriege führen, müssen wir uns in Vergnügungszentren zudröhnen, brauchen wir Shoppingmalls? Wenn's verlassen ist, wirkt alles noch fragwürdiger. Wir wollten auch die Frage stellen, ob es wirklich so ein Drama ist, wenn die Menschen weg sind, oder vielleicht auch eine Erleichterung ist für die Welt.
SN: Im Grunde ist der Gedanke doch beruhigend, dass die Welt auch nach Ende der Menschheit noch weiterexistiert.
Ich seh' das auch so, aber wenige tun das.
SN: Ist "Homo Sapiens" noch ein Dokumentarfilm?
Ach, das ist ein Film, ich würd's nicht unbedingt als Dokumentarfilm bezeichnen. Zum Teil ist mir die Arbeit schon wirklich fiktional vorgekommen, weil wir mit den Orten so umgegangen sind, wie ich mir vorstelle, dass man mit Schauspielern umgeht. Wir haben sie ins rechte Licht gesetzt, wir haben sie zum Teil noch ein bisschen adjustiert. Wir haben Wind gemacht, wenn es keinen gab, weil es oft wichtig war, dass sich im Bild etwas bewegt, und weil etwa der Luftzug, der beim ersten Öffnen einer Tür alles aufgewirbelt hatte, anders nicht reproduzierbar war. Wir haben auch Graffitis entfernt, weil die Orte sonst nicht funktioniert hätten für den Film. Wären wir früher dort gewesen, hätten die Graffitis noch nicht existiert, wir haben also nirgends groß gelogen, nur manchmal nachgeholfen.
SN: Sie haben als Inspiration ein Buch herangezogen, richtig?
Ja, es gibt dieses populärwissenschaftliche Buch "The World Without Us" von Alan Wiseman, das sich damit auseinandersetzt, was passiert, wenn die Menschen weg sind. Man kann das schon meine Inspiration nennen.
Dieses Buch ist ja auch ganz konkret verfilmt worden, mit vielen Animationen, wo New York zusammenbricht und so weiter - aber so wollten wir das nicht machen. Mich hat interessiert wie man gleichsam die Vorboten dieser Zeit schon in der Gegenwart findet. Insofern ist mein Film natürlich doch ein Dokumentarfilm.
SN: Manche Einstellungen erinnern an postapokalyptische Filme wie "I am Legend". Wie sehr spielen Sie damit?
Ich schau mir solche Filme ja selbst nicht an. Aber die Straße, die Will Smith in "I am Legend" entlanggeht, kommt auch in meinem Film vor. Das ist eine aufgelassene Autobahn, die für solche Szenen oft verwendet wird.
SN: Es gibt eine weltweite Szene von Fotografen, die verlassene Orte aufspüren, die "Urbex" (von Urban Explorers). Haben Sie sich da Anregungen geholt?
Sehr. Im Internet sind ja alle diese Orte zu finden, mit fantastischen Fotos. Aber es ist dann schwer, herauszufinden, wo diese Orte sind, weil der Ethos der Urbex-Community ist, dass man sie nicht verrät, damit sie möglichst unberührt bleiben. Wir haben oft Fotografen angeschrieben und gefragt, ob sie uns für den Film nicht doch helfen. Wir hatten dann Informanten in dieser Szene, die uns weitergeholfen haben, ohne die wäre es schwer gewesen. Die Orte sind ja auf der ganzen Welt verstreut, in Amerika, in Argentinien, Japan, Europa - und gottseidank hatten wir das Budget, dass wir uns auch die spannendsten Orte heraussuchen konnten.
Film: Homo Sapiens. Doku/Essayfilm, Österreich 2016. Regie: Nikolaus Geyrhalter. Start: 4. 11.