Die Schwester Gerti, das Modell Moa, die Gefährtin Wally, und die reiche Ehefrau Edith: Es waren vor allem vier Frauenpersönlichkeiten, die den Künstler Egon Schiele geprägt, geliebt und die an ihm gelitten haben. Dietmar Berners sorgfältig inszeniertes Melodram "Egon Schiele - Tod und Mädchen" nach dem Roman von Hilde Berger erzählt ineinander verschachtelt von diesen Beziehungen, bis zum frühen Tod des Künstlers 1918.
SN: Oft dienen Frauen in Biografien männlicher Künstler nur als Requisiten, um seinen Charakter zu beschreiben. Wie sind Sie damit umgegangen?
Hilde Berger: Schon im Roman war mein Hauptinteresse nicht die Frage "Wer ist Schiele?" sondern: "Wer sind die Frauen, die da auf Schieles Bildern abgebildet sind?" Deswegen hab ich recherchiert, wer sie sind.
Natürlich kann ich da den Schiele nicht auslassen. In die Frauen kann ich mich alle sehr gut einfühlen, aber in Schiele hineinzukommen war für mich schwer. Der Mensch ist so seltsam, ein Narziss, ein Mensch, der zu großer Zuneigung gar nicht fähig war. Mein Zugang war dann das Bild, das sich diese verschiedenen Frauen wahrscheinlich von ihm gemacht haben. Dadurch ist er, glaub ich, eine ganz interessante Figur geworden, mit verschiedenen Facetten.
Dieter Berner: Eine geheimnisvolle Figur ist er. Mich interessiert es nicht, ein Genie zu beschreiben, ich glaub auch, dass der Begriff sowieso eine romantische Vorstellung ist.
Als ehemaliger Achtundsechziger will ich lieber wissen: Wie schaut das Biotop aus, das so große Leistungen wie die von Schiele ermöglicht? Da hat mich der Zugang von Hilde Berger sehr fasziniert, zu schauen, wie die unmittelbaren Partnerinnen waren, mit denen er seine Bilder erzeugt hat. Dem Schiele wirklich nah gebracht hat mich dann, als ich draufgekommen bin, dass er mit fünfzehn Jahren den Tod seines Vaters miterlebt hatte, der den Wahnsinnsanfällen litt, die man von der Syphilis kriegt
Gerade zu Ende der Pubertät erlebt der junge Schiele die Gefahren der Sexualität bis zum Tod, wie heute Aids. Und es scheint mir, dass er das in seiner Kunst bearbeitet hat.
SN: Dass Sie sich als ehemaligen Achtundsechziger bezeichnen, passt hier: Schiele dürfte phasenweise in einem Milieu gelebt haben, das mit einer Kommune vergleichbar war.
Berger: Gerade vor Beginn des Ersten Weltkriegs gibt es ja schon solche Versuche neuer Formen des Zusammenlebens, wenn Sie an Monte Verità denken etwa. Die Leute haben in Gruppen gelebt, haben Kommunen gegründet, gemeinsame Sexualität gelebt, genauso wie bei uns später etwa zur Zeit der Mühl-Kommune. Man hat die Mieder weggeschmissen wie man später BHs verbrannt hat, man hat weite Kleider getragen und in der Natur gelebt. All diese Ideen sind dann wieder vergessen worden, und vieles ist '68 wieder aufgekommen. Die Wiederentdeckung von Schiele ist ja in die Sechziger Jahre gefallen.
Berner: Es gibt ja das Konzept des Pendelschlags der Geschichte, der dazu führt, dass auf Zeiten, in denen neue Gesellschaftsmodelle entworfen werden, der Rückschritt ins Reaktionäre unvermeidlich ist, aus Enttäuschung über das Misslingen von Ideen - und dann schwingt das Pendel wieder zurück. Aus diesem Grund ist es auch so interessant, historische Stoffe aufzugreifen, um zu zeigen, dass Geschichte nicht nur Schicksal ist, sondern dass sie gemacht wird, und dass es uns auch zusteht, darauf Einfluss zu nehmen. Für Schiele war das Gestalten sehr wichtig, und zwar nicht nur auf dem Papier, er wollte auch Einfluss nehmen auf seine Freunde. So ist das Charismatische dieser Figur wohl zu begreifen. Fernsehredakteure, die in die Produktion involviert haben, haben im Drehbuch den mit sich ringenden Künstler vermisst. Aber das trifft bei Schiele nicht zu, der war kein einsamer Grübler. Der hat einfach gewusst, was er machen möchte, und hat wenig an sich gezweifelt.
Film: Egon Schiele - Tod und Mädchen. Biopic, Ö/Luxemburg 2016. Regie: Dieter Berner. Mit Noah Saavedra, Valerie Pachner, Maresi Riegner, Larissa A. Breidbach, Marie Jung, Cornelius Obonya, Nina Proll. Start: 7. 10.