Vielleicht ist es die Sehnsucht nach dem, was nicht mehr ist. Vielleicht ist es anthropologische Neugier nach dem inzwischen Außergewöhnlichen. Oder es ist bloßer Zufall, dass das Interesse am Landleben im österreichischen Kino derzeit speziell groß ist: Der Dokumentarfilm "Bei Tag und bei Nacht - Aus dem Leben eines Bergdoktors" erzählt vom Dasein in einem kleinen Kärntner Bergdorf, vom Alltag eines Landarztes, von harter Feldarbeit in Steilhängen, vom Kasnudelkrendeln, Schnapsbrennen, von Motorsägenschnitzerei und vom Berggehen und dem Kuchen, den der Herr Doktor zum Dank für seine Fürsorge geschenkt bekommt.
Möglicherweise liegt es auch am Erfolg von Magazinen wie "Servus" und "Landlust", dass derlei Filmprojekte gerne bewilligt werden: Da gab es im Frühling die essayistische Doku "Holz Erde Fleisch" über die Sorge von Landwirten, ob ihre Kinder den Hof übernehmen werden, oder ob mit ihnen einst der Bauernberuf ausstirbt. Da kommt am 11. November die Doku "Bauer unser" ins Kino, die von einer Landwirtschaft unter Druck internationaler wirtschaftspolitischer Entscheidungen berichtet. Und da feierte es erst vor wenigen Wochen in Venedig Ronnie Trockers Südtiroler Filmdrama "Die Einsiedler" Premiere, der von der Kargheit einer Bergbauernexistenz handelt.
All diese Filme sind Splitter eines Gesamtbildes, das vor allem von Vergänglichkeit erzählt.
"Vor 100 Jahren waren 70 Prozent der Österreicher in der Landwirtschaft tätig, als Knechte, Mägde, Bauern. 1960 waren es noch 20 Prozent, und heute sind's 0,5 Prozent", sagt Hans Andreas Guttner, Regisseur von "Bei Tag und bei Nacht". In seinem Film sind es Bergbauern, ein ebenso gefährdeter Beruf wie jener des Landarztes. Der Film zeigt also die Ausnahme, Guttners eigener Bruder Martin ist der Bergdoktor, der da porträtiert wird, in seiner Ordination in Oberdrauburg, bei Hausbesuchen, und in der Gemeinde, die er versorgt. "Wir sind die erste Anlaufstelle, damit nicht wegen jeder Kleinigkeit der Weg zum Facharzt notwendig wird", erläutert Dr. Guttner im Film die Notwendigkeit lokaler medizinischer Versorgung.
Doch die Lage ist schwierig, schon jetzt suchen viele Gemeinden verzweifelt nach einem Arzt: "In fünf Jahren ist jeder zweite Hausarzt im Pensionsalter, und viele Stellen werden nicht mehr nachbesetzt." Regisseur Guttner findet idyllische Bilder für die Arbeit des Arztes und der Menschen, die er versorgt. Er spricht mit Biobauern, Menschen, die im Steilhang mit Sense und Heugabel hantieren, mit jungen Familien, die ihre Kinder unterm Apfelbaum im Garten untersuchen lassen. Diese Bilder berichten von der Zuwendung, die der Arzt jeder einzelnen Patientin zukommen lässt, davon, wie sehr auch das Gespräch Teil der Therapie ist, und das alles vor dem prachtvollen Bergpanorama der Lienzer Dolomiten und Gailtaler Alpen, mitunter gar begleitet von Alphornklängen.
Und dann gibt es noch die hübsche Szene, in der der Menschendoktor mit dem Tierarzt fachsimpelt bei einem Krügel Bier, der eine erzählt von nächtlichen Zwillingskalbsgeburten, "Wonnst einigreifst in die Kuah, und du gspiast nur Fiass!", der andere von verschluckten Zahnprothesen. Die Idylle wird nur unterbrochen von einem Informationstext, den Guttner von Volksschulkindern stockend vorlesen lässt: Da geht es um Bergbauernsterben und Landflucht, um die Auswirkungen der Globalisierung, darum, wie wenig das Leben am Berg mithalten kann mit der Weltwirtschaft. Der Kniff erlaubt Guttner den Verzicht auf eine Erklärstimme aus dem Off. Viel stärker ist der Moment, in dem der Volksschullehrer die Berufswünsche der Kinder abfragt. Arzt will da niemand werden.
Film: Bei Tag und bei Nacht. Doku, Österreich 2016. Regie: Hans Andreas Guttner. Start: 14.10.