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Familie und Verluste: Vea Kaisers "Rückwärtswalzer"

"Wenn Manen mahnen. Kommunikation zwischen Lebenden und Toten in der römischen Literatur." So lautet der Dissertations-Titel der Altphilologin Stephi. Sie ist eine untreue Seele und daher, wie man erst später feststellt, nur eine Randfigur im Roman "Rückwärtswalzer" der Altphilologin und Autorin Vea Kaiser. Sie ist aber für den Untertitel verantwortlich: "Die Manen der Familie Prischinger".

Kaiser meldet sich mit ihrem dritten Roman zurück
Kaiser meldet sich mit ihrem dritten Roman zurück

Vea Kaiser, im Dezember 30 Jahre alt geworden, bleibt sich auch in ihrem dritten Roman treu. Wie schon ihr Debüt "Blasmusikpop", das sie als 23-Jährige zum Darling der Branche machte, und ihr 2015 erschienener Zweitling "Makarionissi" (von beiden Büchern verkauften sich über 230.000 Exemplare, wirbt ihr Verlag) ist auch "Rückwärtswalzer" ein mit Figuren und Handlung prall gefüllter, leicht lesbarer Unterhaltungsroman, der mehr Wert auf das Was als das Wie des Erzählten legt. Und wieder ist es ein Familienroman. Das Motto der aus dem Waldviertel stammenden Prischingers lautet: "Wir sind eine Familie. Niemand wird zurückgelassen." Stephi gehört nicht zur Familie.

Leicht lesbar heißt jedoch nicht: unterfordernd. Im Gegenteil. Nicht nur angesichts einer Fülle von Familienmitgliedern und Namen wie Willi, Hedi, Wetti oder Mirl, die zunächst nicht leicht in die richtigen Zusammenhänge zu bringen sind, wünscht man sich einen Stammbaum als Orientierungshilfe, ähnlich jenem gezeichneten Ortsplan des erfundenen Alpendorfes St. Peter am Anger, mit dem der Heimatroman "Blasmusikpop" (der von Paul Ploberger verfilmt werden soll) aufwartete. Zudem erzählt Vea Kaiser nicht einfach linear, sondern lässt einerseits ein 1.029 Kilometer langes Roadmovie entstehen, das den arbeitslosen Schauspieler Lorenz mit seinen drei Tanten und einem toten Onkel im Fiat-Panda von Wien-Liesing nach Montenegro führt, und baut andererseits einen parallelen historischen Erzählstrang ein, der in jedem zweiten Kapitel die Familiengeschichte von 1953 bis in die Gegenwart führt und am Ende schließlich von der Ursünde der Prischinger-Tanten erzählt und davon, "wer zurückgelassen wurde".

Das Buch beginnt mit Lorenz' Lebenskrise: Die Erfolgssträhne des Schauspielers ist gerissen, die Rechnungen türmen sich, die Freundin (die untreue Stephi!) ist nach Heidelberg gezogen, und die Lust, sich nach einer geregelten Arbeit abseits des freischaffenden Künstlertums umzusehen, ist endenwollend. Bleibt nur noch die Flucht in den Schoß der Familie. Das sind vor allem Onkel und Tanten. Die drei Schwestern seines Vaters Sepp sind nämlich ein unzertrennliches Trio. Alle hat das Leben ziemlich zerzaust, aber keine hat sich dadurch den Appetit verderben lassen. Nahezu ununterbrochen wird bei den Prischingers gekocht und gebraten, gesotten und gebacken. Wie schon einst, als das familiäre Gasthaus noch in Betrieb war, ehe die russischen Besatzungssoldaten Einzug hielten.

In den 1950ern beginnen die Flashbacks, die nicht nur die Tanten mit ihren zwei Brüdern und später mit ihren Partnern bei ihren Versuchen zeigen, das Leben zu meistern, sondern auch ins Berg- und Küstenland Montenegros führen, wo ein Bub namens Koviljo Markovic aufwächst und dabei auf einen ihm väterlich zugewandten Tierpsychologen und Bärenforscher trifft. Spätestens hier kommt einem John Irving in den Sinn - nicht nur, weil die Anzahl der Bären, die seine Romane bevölkern, Legion sind. Die Lust zu fabulieren, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen, der Drang, dem Ganzen lieber noch pittoreske Handlungsdetails als den Figuren weitere Charakterfacetten hinzuzufügen, hat sie mit dem großen Erzähler aus New Hampshire gemeinsam. Mehr ist mehr, lautet auch Kaisers Devise.

Das ist nicht weiter schlimm, denn schon ihre beiden bisherigen Romane wurden wohl nicht aufgrund ihrer stilistischen Strenge zu Bestsellern. Im "Rückwärtswalzer" finden sich zwar so manche betont originelle Schrittfolgen, doch gerät er nie ins Stolpern. Beschwingt tänzelt er über Rück- und Schicksalsschläge hinweg und lässt den Neffen Lorenz mit seinen Tanten und dem aus guten Grund leichenblassen Onkel Willi (dem einstigen Koviljo) als Beifahrer zum Leichentransport aufbrechen. Und schon sieht man eine künftige Verfilmung mit Michael Niavarani förmlich vor sich. Gewitzt hat Vea Kaiser auch diesen Umstand bereits eingebaut.

Am Ende dieses Tanzes über 65 Jahre Geschichte und 1000 Kilometer Autobahn gelingt der Autorin noch ein überraschender Twist und man erfährt vom Schicksal des Fünften im Geschwisterbunde, Tante Hedis Zwilling Nenerl, den man bei der Lektüre schon lange vergessen hatte, der aber als Totengeist in der Familie Prischinger höchst präsent ist. Jede Familiengeschichte ist auch eine Verlustgeschichte. "Niemand wird zurückgelassen" ist eine Beschwörung, der sich kaum gerecht werden lässt. Eine Prognose lässt sich aber wohl gefahrlos machen: Auch "Rückwärtswalzer" wird ein Bestseller.

(S E R V I C E - Vea Kaiser: "Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger", Kiepenheuer&Witsch, 432 Seiten, 22,70 Euro. Buchpräsentation am 11. März, 20 Uhr, im Rabenhof Theater, Wien 3, Rabengasse 3)

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