Mit den Menschen ist das so eine Sache. Sie sind soziale Wesen, angeblich, und nicht wenige sind mit einem Hang zum Asozialen ausgestattet, sicher. Sie leben Tür an Tür, wenn sie sich nicht überhaupt einen Raum teilen wie die beiden jungen Frauen aus der Titelgeschichte "Süßer als Salz", sie kleben aneinander, lassen einander am Leben der jeweils anderen teilhaben und doch lässt sich eine Mauer zwischen ihnen nicht einreißen. "Ich frage mich, wer du bist", bekennt die Erzählerin und benennt damit den eigentlichen Kern der Literatur von Margarita Fuchs.
Natürlich weiß die Erzählerin nicht, wer die Mitbewohnerin ist, was nichts macht, sie ist ohnehin genug damit beschäftigt, das eigene kleine Sozialsystem unter Kontrolle zu halten. Die Studienkollegin, die Uni, der Austausch über ihre Erfahrungen dort, es kommen Männer ins Spiel, alles ganz gewöhnlich, den Erwartungen entsprechend. Je länger die beiden miteinander umgehen, desto rätselhafter muss ihnen die Normalität, in der man sich einrichtet, um nicht in eine existenzielle Krise zu fallen, vorkommen. Ritualisierungen, wiederholte Abläufe strukturieren den Tag, und darunter tobt so etwas wie ein Eigenwille, der es auf Ausbruch und Widersetzlichkeit abgesehen hat.
In so einem Spannungsfeld muss man erst einmal leben, ohne in Konflikte mit den anderen und sich selbst zu geraten. Natürlich geht das nicht und natürlich geht das nicht gut. Wäre es anders, müsste Margarita Fuchs nicht schreiben. Aber weil es diesen Riss gibt im Einzelnen und in der Gesellschaft, das alte antagonistische Prinzip von Stillhalten und Aufbegehren, treibt es die Salzburger Autorin dazu, Beobachtungen anzustellen, dem seltsamen Wesen Mensch auf die Schliche zu kommen.
Mit dem Erzählen ist das auch so eine Sache. Mit dem Runterhaspeln einer Geschichte ist es nicht getan. Jeder Geschichte sieht man an, dass es Fuchs nicht reicht, wenn man sie einfach nacherzählen könnte. Deshalb diese Sprachwirbel, die sich um Situationen, besondere Momente und einzigartige Konstellationen drehen. Es kann sein, dass sie plötzlich die Oberhand gewinnen, weil sie dringend aufgerufen sind, eine Atmosphäre zu schaffen, ohne die die Figuren, die Fuchs in sie hineinstellt, nicht zu verstehen wären. Es sind keine simplen Gestalten, sie neigen zum Grübeln und Problematisieren, was einleuchtet, denn sie hadern mit den Umständen. Und weil sie zum Leiden nicht gemacht sind, wollen sie wenigstens ergründen, was ihnen zusetzt.
Eine melancholische Grundstimmung ist über die Erzählungen im neuen Band von Margarita Fuchs verhängt, was nun nicht länger verwunderlich ist. Denn, um noch einmal einen Satz aus einer Erzählung aufzugreifen: "Und natürlich ging es immer schon um mehr als um Bäume."
Und natürlich geht es immer schon um mehr als um die menschliche Verfasstheit. Es geht auch darum, wo diese Verfasstheit herkommt, wo die Sünden der Vergangenheit in der Gegenwart durchschlagen, wie sich Beziehungen auswirken und was Familiengeschichten mit dem Einzelnen anstellen. So ist es nun einmal mit dem Faktor Mensch in der Geschichte. Es macht einen Unterschied, ob sich die Defizite der Seele im Kriegsgebiet der Ukraine bemerkbar machen oder in einer kleinen österreichischen Stadt. Die Grade der Verstörung sind von wechselnder Größe, aber ein Unheimlichkeitspotenzial findet sich in jeder Erzählung.