Immer wieder graben sich Aufführungen der Salzburger Festspiele tief und nachhaltig ins Gedächtnis ein. An gleich zwei davon erinnert, direkt und indirekt, die Sopranistin Angela Denoke, die neuerdings auch ans Opernregiepult wechselte. In Ulm, wo sie einst ihr Sängerinnenleben gestartet hatte, brachte sie kürzlich, coronabedingt in extrem reduzierter Version, Janáčeks "Kátja Kabanová" heraus. Mit dieser Rolle brillierte sie am Beginn ihrer internationalen Karriere 1998 in Salzburg in der legendären Inszenierung von Christoph Marthaler, für die Anna Viebrock ein unvergessenes trostloses Hinterhof-Ambiente gebaut hatte. Und nun folgte für das Tiroler Landestheater "Salome" von Richard Strauss, ebenfalls eine Partie, mit der Angela Denoke tief vertraut ist und die sie weitum gesungen hat. Und für die, 2018 in Salzburg, ihre Kollegin Asmik Grigorian neue interpretatorische Maßstäbe gesetzt hat: eine epochale, einzigartige Aufführung in der Felsenreitschule.
Angela Denoke geht hier auch als Regisseurin ihre eigenen Wege. Sie sind nicht grundstürzend anders, als man manche "Salome"-Inszenierungen kennt, und doch spannend individuell. Insbesondere im Verhältnis zu dem Propheten Jochanaan, der für gewöhnlich als Gefangener des Herodes aus der Tiefe einer Zisterne tönt, hier aber von Anfang an in einem eisernen Zylinder und der ihn umlaufenden Wendeltreppe (Ausstattung: Timo Dentler & Okarina Peter) sichtbar und präsent ist, öffnen sich neue Schichten eines von Neugier getriebenen Liebesbedürfnisses. Begleitet wird Salome von ihr selbst als Kind. Dieses sieht man im berühmten Schleiertanz, wie es von Herodes' gierig-brutaler Männergesellschaft zum Spielball der Begierden wird: eine Brutalität, die sich auf der Klimax des Orchestertobens durch Herodes an der erwachsenen Salome schutzlos wiederholt.
Salome, die danach den Kopf des Jochanaan fordert, weil er ihre Liebesgefühle nach dem ersten "richtigen" Mann nicht erfüllen will, weil er seiner Rolle des unantastbaren Propheten verhaftet bleibt (obwohl vom ersten "Augen-Blick" ihrer Begegnung an auch er erotisch hingezogen wird), wird also zur Täterin, weil sie zeitlebens Opfer war. Aber sie bekommt nicht nur den Kopf, sondern den blutenden, wankenden, tödlich getroffenen ganzen Körper, mit dem sie sich am Ende ihres Schlussmonologs im Tod verbindet, den sie bewusst aus eigenem Antrieb selbst setzt, indem sie sich die Pulsadern aufschneidet: eine Liebes-Todes-Szene von grausam berührender Wucht.
Vom ersten bis zum letzten Moment entwickelt Angela Denoke ihre Regie ganz aus der Musik heraus, dabei jederzeit hellhörig auf die Signale des Textes bedacht. Man merkt ihre sängerische Erfahrung, bei der sie sich immer wieder auf kluge, intelligente Lesarten einlassen konnte, um jetzt selbst handwerklich außerordentlich souverän und gedankenscharf eigene Noten in eine Inszenierung einzubringen.
In Innsbruck ist sie auf ein hochrangiges Ensemble von exzellenten Singschauspielern getroffen. Jacquelyn Wagner, bald auch Christian Thielemanns "Lohengrin"-Elsa bei den Salzburger Osterfestspielen, gibt keine Jung-Heroine, sondern im lila Tüllrock und schillerndem Pailetten-Oberteil eine zur Erwachsenen erwachende junge Frau mit silbrig-schöner, ebenmäßig klarer Höhe und präsenter Diktion (und leider einigen Textdefiziten), Jochen Kupfer "orgelt" den Jochanaan nicht, sondern macht aus ihm eine durchaus gebrochene, in der Deklamation vorbildlich markante, buchstäblich zwiespältige Gestalt, Florian Stern ist ein erstaunlich junger, hyperventilierender Herodes, Susanna von der Burg in glitzerndem Schwarz eine ihm jederzeit überlegene Herodias. Jon Jurgens' Narraboth und Zsófia Mózers Page fallen ebenso individuell auf die Nazarener, Soldaten und das Quintett der sich ereifernden Juden (von denen in der dritten Aufführung am Donnerstag der Dritte krankheitsbedingt ausgefallen ist).
Lukas Beikircher, Tirols Musiktheaterchef, führt das Orchester zu formidablen Höchstleistungen, muss dabei auch noch von außen zugespielte Bläser koordinieren, was nur ein paar Mal wirklich auffällt, der runden Leistung und dem großen Bogen aber so wenig anhaben kann wie der präzisen musikalisch-szenischen Figurenzeichnung. Innsbruck hat (noch vier Mal bis 18. März) eine musiktheatralisch hoch beeindruckende "Salome" zu bieten.