Mit der Höflichkeit ist es eine teuflische Sache. Da steht jemand vor der Tür und formuliert hartnäckig ein Anliegen. Man hat aber alle Hände voll zu tun oder auch nur das aufrichtige Bedürfnis nach Ruhe. Wie wird man diese Person freundlich und zivilisiert los?
Von Darren Aronofsky, der 2014 mit der seltsamen Bibelverfilmung "Noah" erstaunt hat, 2010 mit "Black Swan" das Quälballettfilmgenre in Fantasy-Sphären überhöht hat und 2008 mit "The Wrestler" Mickey Rourke zu einem Fast-Comeback verholfen hat, kommt am Freitag "Mother!" ins Kino. Der Film ist ein Horrorthriller, der in keine Schubladen passen will. Und es ist höfliche Zurückhaltung, das rücksichtsvolle Verschweigen eigener Bedürfnisse, das hier aus einer trauten Zweisamkeit die schiere Hölle werden lässt.
Mutter (es gibt keine Namen in diesem Film, gespielt wird sie von Jennifer Lawrence) und Er (Javier Bardem) bewohnen zu zweit ein einsam gelegenes, mehrstöckiges altes Haus, an dem Mutter hingebungsvoll und kompetent herumrenoviert, während Er, berühmter Schriftsteller, sich mit einer Schreibblockade abquält.
Dann steht eines Abends, gerade haben es sich die beiden auf der Couch gemütlich gemacht, ein Mann (Ed Harris) vor der Tür und fragt nach einem Zimmer, er habe gehört, hier sei eine Pension. Er bittet den Mann herein, noch bevor Mutter protestieren kann. Der Mann benimmt sich gleich schlecht, "ich dachte, das wär deine Tochter, nicht deine Frau" (zwischen Bardem und Lawrence sind 21 Jahre Unterschied), doch Er findet das ganz normal, und Mutter muss das Gästezimmer zurechtmachen.
Am nächsten Tag stellt sich heraus, der Mann ist in Wahrheit glühender Fan des Schriftstellers. Dann steht auf einmal eine Frau (Michelle Pfeiffer) vor der Tür, es ist die Ehefrau von Mann, und die drängt Mutter gleich emotional in die Ecke und fragt, warum es denn noch keine Kinder gebe. Während die Männer sich betrinken, kritisiert die Frau an Mutters fader Unterwäsche herum, kommentiert das Haus abschätzig, und Mutter versucht, höflich zu bleiben. Doch das ist erst der Beginn eines Eindringlingshorrors, der bis zum Äußersten und darüber hinaus geht.
"Mother!" macht grenzenlos neugierig, wie die Geschichte denn weitergeht, und mit dem Immer-mehr-immer-wilder ist der Film tatsächlich eine Weile auch abwechslungsreich, garniert mit Entsetzlichkeiten wie Höllenfeuer, Sektenkult, Bürgerkrieg und Menstrua tionsblut. Doch Aronofsky will noch mehr, will doppelte Böden, dreifache Bedeutungsebenen, das große Ganze zwischen Mann und Frau mit durchdringendem Blick analysieren. Dass der patriarchale Mechanismus zwischen genialischem Schöpfermann und treu sorgendem Eheweib so klassisch wie destruktiv ist, wird hier als großes Mysterium enthüllt, ist aber in Wahrheit so banal, dass es Kopfschmerzen verursacht, länger über den Film nachzudenken.
Ja, Aronofsky hat verstanden, dass es oft die undankbare Rolle einer (jüngeren, begehrenswerten) Frau ist, für den Künstlerehemann dekorative Folie zu sein, der Begriff "Trophy Wife", "Trophäengattin", hat sich da im Englischen durchgesetzt. Zugleich umsorgt diese Frau ihn während seines kreativen Schaffensprozesses. Das ist so deprimierend wie unoriginell, aber wird hier mit dem kühnen Blick dessen inszeniert, der das für eine riskante, provokante Neuigkeit hält - was eventuell daran liegt, dass ihm selbst die hegende Rolle nicht vertraut ist. Schließlich ist Aronofsky selbst genialischer Künstler regisseur, dessen Hang zum Metaphysischen ihn oft über die Grenze in Richtung Kitsch treibt.
Und doch, "Mother!" - ja, mit Rufzeichen, um zu markieren wie anders und wild alles ist - ist ein Film, der mit seiner Eskalation ins immer noch Heftigere unterhält. Nach einem grotesk übersteigerten Finale wird aber deutlich: Was vordergründig wirkt wie bedeutungsschwerer Symbolismus und Allegorie, ist bloße Dünnbrettbohrerei mit großer Geste und vielen Spezial effekten. Da hilft keine Höflichkeit.
Film: "Mother!", Horrorfilm, USA 2017, Regie: Darren Aronofsky. Mit Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer.