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Gegen Rückenschmerzen ist weniger oft mehr

Oft scheitert die Therapie bei Menschen mit einem schmerzenden Rücken allein daran, dass falsche Diagnosen gestellt werden. Und dass man viel zu schnell operiert. Ein Wegweiser für Leidgeprüfte.

Rückenschmerzen: Schmerztherapie oder Operation?
Rückenschmerzen: Schmerztherapie oder Operation?

Der Wiener Orthopäde Alexander Kraft scheut in seinem Buch "Messer weg!" vor deftiger Kritik an seinem Berufsstand nicht zurück . Er zeigt auf, was falsch läuft, und gibt im SN-Interview auch zahlreiche Tipps für Menschen, die von ihrem Rücken geplagt werden.

Was läuft in der Behandlung von Rückenschmerzen falsch? Alexander Kraft: Es ist ein normales medizinisches Prinzip, dass man zunächst eine klare Diagnose haben muss, bevor man mit einer Therapie beginnt. Bei Rückenschmerzen wird aber häufig keine adäquate Diagnose gestellt, sondern oft sind das nur Beschreibungen eines ausstrahlenden Schmerzes. Eine Lumbalgie zum Beispiel festzustellen, wie das oft passiert, heißt nichts anderes, als dass ich einen Schmerz im unteren Rückenbereich habe. Das ist keine Diagnose, von der ich eine wirksame Behandlung ableiten kann.

Aber hat man heute mit Röntgen, Magnetresonanz- oder Computertomographie nicht bessere Unterlagen als je zuvor zur Hand? Leider sind sie nur zum Teil aussagekräftig, weil sie oft falsch positive Befunde liefern. Wir wissen, dass viele Menschen zu einem hohen Prozentsatz Bandscheibenvorfälle haben, die klinisch nicht relevant sind.

Oft gehen diese Schmerzen, die von den Patienten empfunden werden, gar nicht von der Bandscheibe aus, sondern von einem kleinen Wirbelgelenk oder vom Kreuzdarmbeingelenk. Das wird nicht ordentlich diagnostiziert und würde eine ganze andere Therapie erfordern als eine vorschnell durchgeführte Bandscheibenoperation.

Wie kann es sein, dass ein Bandscheibenvorfall keine Probleme macht? Die meisten Bandscheibenvorfälle machen keine Probleme, weil die Nervenwurzel meist genug Platz hat. Es kommt auch darauf an, wo der Bandscheibenvorfall sitzt. Es gibt eigentlich nur eine einzige absolute Indikation für eine Operation: wenn die Blase und der Mastdarm nicht mehr kontrolliert werden können oder wenn sie eine massive Lähmung eines Beines haben. Wenn also das Bein wegknickt und der Fuß nicht mehr gehalten werden kann. Schmerzen und leichte Lähmungserscheinungen sind keine Gründe für eine Operation. Das kann man ohne Weiteres durch minimalinvasive Eingriffe in den Griff bekommen. Man benötigt aber ein bisschen Geduld dafür.

Es ist ja nicht so, dass die Ärzte allein schuld sind, dass so viel operiert wird. Viele Patienten wollen rasch eine Verbesserung ihrer Beschwerden haben. Hier müsste man aufklären und sagen: Wir operieren Sie nicht, haben Sie Geduld, das wird auch mit anderen Methoden wieder gut. Das passiert aber nicht entsprechend.

Was ist die Alternative zu einer Operation? Wenn physikale Therapien und Medikamente, die oral eingenommen oder mit Infusionen verabreicht werden, nicht helfen, gibt es Infiltrationen an die Nervenwurzeln, in den Rückenmarkskanal und an den Bandscheibenvorfall heran. Die Ursache für die Schmerzen liegt in den seltensten Fällen am Druck, den die Bandscheibe auf die Nervenwurzel ausübt. Häufigste Ursache sind vielmehr Entzündungen im Bereich der Nervenwurzeln, die durch Entzündungsbotenstoffe entstehen, die aus der Bandscheibe austreten.

Eine gezielte Schmerztherapie ist hier also viel wirksamer als eine Operation? Im Prinzip sollte immer mit einer gezielten Schmerztherapie das Auslangen gefunden werden - mit Ausnahme der beschriebenen Ausfälle. Das ist aber etwas, was schlecht bezahlt ist. Dann benötigt man auch ein Röntgen- oder CT-Gerät dafür, was nicht immer vorhanden ist. Interessant ist auch, dass die Patienten mehr Angst vor der Injektion oder vor einer gezielten Schmerztherapien haben als vor der Operation. Nein, eine Spritze wollen sie nicht haben, da könnten sie gelähmt werden, heißt es oft. Das ist unglaublich.

Viele Rückenschmerzen entstehen durch Verspannungen der Muskulatur oder durch Verklebungen des Fasziengewebes, das Muskeln umhüllt. Wie kann man dem begegnen? Das ist ein Problem, das schon in der Jugend beginnt und mit Fehlbelastungen und Fehlhaltungen zu tun hat. Vor allem mangelt es an zu wenig richtiger Bewegung. Kinder haben im Vorschulalter keine Rückenschmerzen. In der Schule werden sie gezwungen, ruhig zu sitzen. Und dann kommen die Verspannungen. Die Computerfreaks sitzen überhaupt nur noch vor dem Schreibtisch oder auf dem Boden und spielen mit Handy oder Tablet. Wir machen viel zu wenig Bewegung. Dadurch kommt es zu Ungleichgewichten in der Rumpfmuskulatur, die zu muskulären Verspannungen führen. Daraus entstehen Reizzustände und Entzündungen, die zu Verklebungen der Faszien führen.

Reicht Rückentraining allein, um muskuläre Ungleich- gewichte zu beseitigen? Das allein reicht nicht, es muss immer die Balance der Rumpfmuskulatur wiederhergestellt werden. Das heißt, Bauchmuskeltraining ist genauso wichtig. Und da muss man vor allem die innere, die tiefliegende Muskulatur trainieren, sowohl beim Bauch als auch beim Rücken. Entsprechende Übungen lernt man beim Physiotherapeuten. Mittlerweile gibt es aber auch im Internet eine Unzahl von entsprechenden Videos, die solche Übungen ausgezeichnet erklären.

Gibt es auch bei Rückenschmerzen so etwas wie ein Schmerzgedächtnis, wenn also bildlich gesprochen die Schmerzen im Kopf sitzen? Absolut, das ist das große Problem. Das Schmerzgedächtnis entsteht, wenn die Schmerzen chronisch werden. Das muss man vermeiden, indem man Rückenschmerzen rasch behandelt. Wenn man aber zu lang wartet, kann man die Schmerzen nicht mehr an der Peripherie, also am Rücken, bekämpfen. Dann wird es wirklich schwierig und man muss man zu anderen Therapien greifen, zu psychologischen Behandlungen zum Beispiel.

Also Schmerzen nie zu lang anstehen lassen?! Ja. Der große Fehler, der noch immer gemacht wird, ist, dass Leute sagen: "Ist das nur schmerzstillend oder ist das heilend? Den Schmerz kann ich ertragen." Eine Schmerztherapie ist natürlich heilend, weil sie den Schmerz reduziert und zur Heilung führt.

Die Leute sollen sich auch nicht mit Aussagen nach dem Motto abfertigen lassen, dass man da halt nichts machen kann, schauen Sie auf Ihr Alter, schauen Sie auf Ihr Gewicht. Das sind alles sehr oberflächliche Aussagen. Wichtig ist, sich bei Rückenschmerzen nicht mit einer einfachen Diagnose und Therapie zufriedenzugeben. Wenn die nach zwei, drei Wochen zum Erfolg führt, ist das in Ordnung. Ist das aber nicht der Fall, dann ist unbedingt eine genaue Abklärung notwendig. Und wenn das der Arzt nicht macht, dann den Arzt wechseln.

Sie warnen auch eindringlich davor, sich operieren zu lassen, wenn die Indikation dafür nicht eindeutig gegeben ist. Was sind die größten Risiken einer Operation? Da gibt es das Infektionsrisiko. Aber auch die Gefahr von Nachblutungen, dass man neuerlich operieren muss. Und das große Risiko sind Narbenbildungen. Nachblutungen können zum Beispiel so starke Narben bilden, dass Schmerzen wie vor der Operation entstehen.

Groß ist auch die Gefahr der Instabilität. Durch das Ausräumen der Bandscheibe ist die Stabilität der aneinandergrenzenden Wirbelkörper nicht mehr so gegeben und es kommt zu ständigen Mikrobewegungen. Dadurch werden die kleinen Wirbelgelenke vorzeitig abgenützt. Die Folge: Rückenschmerzen. Und die führen dann zu weiteren Operationen. Ich kenne Leute, die haben bis zu 17 Operationen gehabt und sind immer noch nicht schmerzfrei.

Das Buch "Messer weg!" von Alexander Kraft ist im Verlag delta x erschienen.

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