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Lärm ist nicht nur Lautstärke

Ob ein Geräusch nervig ist oder nicht, hängt auch von der Frequenz und der Schallausbreitung ab. Manchmal kann ein zusätzliches Geräusch störenden Lärm erträglicher machen. Erprobt wird das alles in der Schweiz.

Was der Zuhörer als Lärm wahrnimmt, ist eine Summe von Einzelgeräuschen.
Was der Zuhörer als Lärm wahrnimmt, ist eine Summe von Einzelgeräuschen.

Was ist das nervigste Geräusch der Welt? Bei vielen, die noch echte Tafeln aus der Schule kennen, ist es das Geräusch eines Fingernagels, der über die Tafel kratzt. Der Zahnarztbohrer ist auch oft ganz oben auf der Schreckensliste, oder das Geräusch einer Mücke dicht am Ohr. Wie nervig Menschen solche Geräusche finden - das zeigen diese Beispiele -, hat nichts mit der Lautstärke zu tun. Bestimmte Frequenzen lösen im Gehirn unterschiedliche Reaktionen aus.

Auch eine Geräuschkulisse ist längst nicht ein Gesamtrauschen, das nur je nach Schalldruckpegel, gemessen in Dezibel, mehr oder weniger störend wirkt. "Man weiß heute, dass sich die akustische Umwelt verbessern lässt, manchmal sogar, wenn der Geräuschpegel steigt", sagt der Akustiker Kurt Heutschi von der Schweizerischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) bei Zürich im Vorfeld des Tags gegen Lärm am 24. April. Forscher hätten schon gezeigt, dass positive Geräusche wie etwa ein sprudelnder Springbrunnen negative wie vorbeirauschende Autos maskieren könnten.

Man weiß auch, dass nicht alle Bestandteile eines Geräuschs gleich nervig sind. Es hängt etwa von den Frequenzen ab. Auch ein Geräusch im Rhythmus eines schnellen Herzschlags, wie es Windturbinen mitunter machen können, wenn auch relativ leise, empfinden viele Menschen als unangenehm. Komplex ist ein vorbeirauschender Zug. "Das Geräusch setzt sich aus über 100 verschiedenen Quellen zusammen", sagt Heutschi. "Mehrere Punkte auf den Achsen, an den Schienen, an den Rädern, die Lüftung - alles verursacht Geräusche." Dazu kommen äußere Einflüsse: Geschwindigkeit, Temperatur, Boden sowie die Distanz des Zuhörers.

Mit seinen Kollegen hat Heutschi im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts eine Computersimulation entworfen, die alle diese Komponenten künstlich herstellen und in beliebiger Zusammensetzung wiedergeben kann.

Eine Grafik-Animationssoftware liefert dazu eine passende Videosequenz. Heutschi demonstriert den Lärm-Synthesizer im Tonstudio: Auf der Leinwand rast ein Zug vorbei, aus den Lautsprechern rauscht, pfeift und schlägt es täuschend echt.

Heutschi kann nun mit der Maschine zum Beispiel das schlagende Geräusch, das eine einzelne abgeflachte Stelle an einem Rad auf den Schienen verursacht, aus dem Klangerlebnis herausfiltern. Er kann den Lärm einer glatten durch eine raue Schiene ersetzen, den Zug klangtechnisch schneller fahren lassen, bei Güterwagen unterschiedliche Bremssysteme hörbar machen oder den Effekt von Lärmschutzwänden dazukomponieren.

Wie Heutschi im Tonstudio können Testpersonen verschiedene Geräuschkompositionen nach Lästigkeit bewerten. Damit können die Deutsche Bahn und andere Unternehmen testen, ob das regelmäßige Glattschleifen der Schienen womöglich mehr Anwohner glücklich macht als neue Lärmschutzwände, oder was die Reparatur von Flachstellen an Rädern für die Zufriedenheit der Anwohner an Schienenanlagen bringen kann.

"Dezibel ist das, was man messen kann, aber mit dieser Simulation kommen wir näher an die Wahrnehmung heran: Welche Lärmkomponenten stören den Menschen am meisten?", erklärt Heutschi. Ähnliche Simulationen sind auch für Fluglärm und Verkehrslärm in Arbeit. Die Entwicklung ist aufwendig und beschäftigt mehrere Forscher über Monate. Dazu müssen Modelle entwickelt werden, die realitätsnah beschreiben, wie die spezifischen Geräusche entstehen, um sie dann nachbilden zu können.

Gegen das nervtötende Fingernagelkratzen kann der Sound-Synthesizer allerdings nichts tun, und wer den Zahnarztbohrer nicht erträgt: immer schön Zähneputzen.

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