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Automotive-Zulieferindustrie: "Es wird die Relevanz verkannt"

Die Automotive-Branche steht mit dem Rücken zur Wand. Dietmar Schäfer, Sprecher der ARGE Automotive Zulieferbetriebe in der Wirtschaftskammer, ist erstaunt, wie wenig Wertschätzung diese Branche in Österreich erfährt.

Die Automotive-Zulieferindustrie in Österreich erlebt eine unzureichende Anerkennung ihrer Bedeutung für die Wirtschaft.
Die Automotive-Zulieferindustrie in Österreich erlebt eine unzureichende Anerkennung ihrer Bedeutung für die Wirtschaft.

Als im September in den Nachrichten verkündet wurde, dass die Metaller-Kollektivvertragsverhandlungen mit einem für beide Seiten halbwegs zufriedenstellenden Ergebnis abgeschlossen werden konnten, zeigte sich, dass inmitten der gesellschaftlichen Gespaltenheit und des weltpolitischen Chaos eines noch immer zu funktionieren scheint: die österreichische Sozialpartnerschaft.

"Niemand hat in der Automotive-Branche etwas verschlafen, wie es gern heißt, das ganze Thema ist signifikant volatiler geworden."
Dietmar Schäfer
Branchensprecher in der WKO

Haben Sie das auch so gesehen, Herr Schäfer? Dietmar Schäfer: Man hatte auch nicht viel Spielraum. Ich habe den Eindruck, dass die Beteiligten den Ernst der Lage erkannt haben.

Sie sind Sprecher der ARGE Automotive Zulieferindustrie in der WKO. Ihrem Dialekt nach sind Sie Schwabe. Wie ist es, im Autoland Baden-Württemberg aufzuwachsen? Das prägt, ich konnte mich dem Sog des aufstrebenden Automobilstandorts Süddeutschland nicht wirklich entziehen. Wenn man wie ich in die Metallbranche geht und Maschinenbau studiert, kommen viele Dinge zusammen: der Spaß daran, das Interesse und die Leidenschaft fürs Ingenieurwesen. Als ich Anfang der 1990er-Jahre nach Österreich kam, war ich befremdet über das komplett andere Grundverständnis für die Automobilbranche.

Inwiefern? Damals gab es noch die Luxussteuer, die von der Normverbrauchsabgabe abgelöst wurde. Das Auto war die steuerliche Melkkuh und ist es geblieben. In Deutschland hätte man das mit Rücksicht auf die Automobilindustrie nie so gehandhabt. In Österreich wird nicht gesehen, dass die Anzahl der Automobiljobs bei den Zulieferbetrieben im Vergleich zu Deutschland mit dem Verhältnis 1:10 auf dem gleichen Niveau ist. Damit ist die Relevanz der Automobilproduktion für den Wohlstand in Österreich 1:1 vergleichbar wie in Deutschland, auch wenn hier keine VWs, Audis oder Porsches gebaut werden. Doch die Zulieferbetriebe in Österreich bekamen und bekommen nie die Aufmerksamkeit, die sie aufgrund dieser Tatsache verdienen würden, insbesondere von der Politik. Wenn man direkte und indirekte Beschäftigungsverhältnisse zusammennimmt, reden wir über rund 200.000 Jobs, die in Österreich an der Automobilindustrie hängen.

Die Branche steht aktuell mit dem Rücken zur Wand. Wo wäre Selbstkritik angebracht? Diese Frage höre ich immer wieder. Wir haben heute ein wirtschaftlich komplett unterschiedliches Umfeld als in den Dekaden davor. Seit Mitte der 1990er-Jahre verzeichnete die Automotive-Industrie nachhaltiges Wachstum, das bis 2019 anhielt. Bis auf die Jahre 2008/2009 ging es stetig nach oben. Die größten Herausforderungen lagen darin, dem Preisdruck standzuhalten und genug Innovation zu betreiben, um sich weiterhin behaupten zu können. Dann kamen die Pandemie, das Lieferkettenproblem, der Ukrainekrieg und allem voran der Green Deal mit seiner Regulatorik aus Brüssel. Damit konnten die einen oder anderen Betriebe nicht gut umgehen. Niemand hat hier etwas verschlafen, wie es gern heißt, das ganze Thema ist signifikant volatiler geworden. Das hat Druck im Kessel verursacht.

Niemand hat in der Automotive-Branche etwas verschlafen, wie es gern heißt, das ganze Thema ist signifikant volatiler geworden.¦Dietmar Schäfer¦Branchensprecher in der WKO
Niemand hat in der Automotive-Branche etwas verschlafen, wie es gern heißt, das ganze Thema ist signifikant volatiler geworden.¦Dietmar Schäfer¦Branchensprecher in der WKO

2024 sank der Branchenumsatz um 9,2 Prozent auf 28,5 Mrd. Euro. Spielt hierbei die Unternehmensgröße eine Rolle? In Salzburg gibt es ja viele kleine Zulieferbetriebe. Wir erfassen die Umsätze nicht nach Unternehmensgrößen. Es wäre aber unlogisch, wenn es Unterschiede gäbe. Meine Sorge ist vielmehr eine andere: Wenn wir auf die Automobilproduktion in Europa blicken, haben wir seit 2019 20 Prozent verloren, das sind vier Millionen Autos pro Jahr, die hier nicht mehr hergestellt werden. Das schlägt sich natürlich 1:1 auf die Zulieferbetriebe durch. Wenn man sieht, wie Europa nun zwischen den USA und China hängt, muss ich sagen: Brüssel macht es für die Branche nicht besser.

Inwieweit hilft hier der letzte Lohnabschluss? Wir haben es mit zwei großen Themen zu tun: Das westliche Mitteleuropa hat zuletzt ordentlichen Druck über die Faktorkosten bekommen. Es ist schön, dass man die Lohnverhandlungen mit deutlich unter zwei Prozent abschließen konnte. Nur müssten wir auch die nächsten Jahre niedriger abschließen, um in eine bessere Position zu kommen. Es schmerzt noch immer, was wir die letzten zwei, drei Jahre abbekommen haben. Es werden weniger Fahrzeuge produziert, es gibt unausgelastete Kapazitäten. Die Unternehmen sind gestreut, haben Niederlassungen in günstigeren Ostländern. Wo glauben Sie, werden bei Überkapazitäten Jobs abgebaut, in Österreich oder im günstigeren Osten? Und da rede ich noch gar nicht von neuen Jobs. Die Betriebe am Standort Österreich werden jedenfalls die ersten sein, die bei Restrukturierungen von Stellenabbau betroffen sein werden.

Wie hoch ist die Standorttreue bei den Zulieferbetrieben? Immerhin kommt eine Generation nach, die sprachlich, technisch und organisatorisch flexibler ist und mit dem nicht deutschsprachigen Ausland gut klarkommen könnte. Standorttreue gibt es durchaus in der einen oder anderen Form. Und wenn man alle Ingenieure nach Ungarn schickt, muss man ja auch selbst dorthin übersiedeln. Es gibt schon ein gewisses Momentum, wo sich Unternehmer sagen: Alle Zelte abbauen möchte ich nicht, doch es muss wirtschaftlich darstellbar bleiben. Ich bin auch der Meinung, dass man aufgrund der Qualifizierungen bei den Fachkräften, die es in der Branche benötigt, einen Werkzeugbaubetrieb nicht einfach in der ungarischen Steppe errichten kann.

Wie wird sich die Jobsituation in der Branche ändern? Die Branche unterhält in Österreich seit Dekaden relativ gleichbleibend rund 80.000 Jobs, obwohl der Markt stetig gewachsen ist. Doch die neuen Jobs sind im Ausland entstanden. Wenn ein Zulieferbetrieb - sagen wir - in Salzburg hundert Menschen beschäftigt und in der Slowakei 200, wird er dort wachsen, nicht in Österreich. Erst über das Wachstum an den günstigeren Standorten konnten die Unternehmen bislang eine ausgeglichene Bilanz erreichen. Jetzt aber wachsen wir nicht, sind sogar in einer Rezession, da lassen sich die Faktorkosten nicht mehr länger verstecken. Es wird also noch dauern und mehrere solcher Lohnabschlüsse brauchen, um wieder zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit zurückzufinden. Da haben wir noch gar nicht über die Regulatorik gesprochen. Während der chinesische Markt enorm zugelegt hat und die USA die Situation zumindest stabil halten konnten, reguliert sich Europa zu Tode.

Wo steht die Branche in puncto Automatisierung und Digitalisierung? Es geht doch immer noch etwas mehr. Wir sind an sich gut unterwegs, doch in Anbetracht der Volatilität in der Branche gibt es keine verlässlichen Absatzprognosen mehr. Unter dieser Prämisse ist es noch schwieriger, zu automatisieren, weil sich der Return on Investment schwer kalkulieren lässt. Will ein Unternehmen automatisieren, um Lohnkosten zu senken, muss es in entsprechendes Equipment investieren. Und dazu benötigt es nun einmal eine gute und nachhaltige Auslastung.

Wie sähe Ihrer Meinung nach eine gute Standortpolitik aus? Geht die aktuelle Regierung in die für Sie richtige Richtung? Es klingt vernünftig, was sich die Regierung vorgenommen hat. Und nein, ich bin nicht besonders glücklich, wenn vom Verkehrsminister verlautbart wird, dass man zum Verbrennerverbot steht. Doch die meisten Dinge, die uns standortpolitisch schaden, kommen aus Brüssel. Hier könnte unsere Regierung schon deutlichere Spuren hinterlassen und sich bemerkbar machen, auch wenn Österreich keine der großen Volkswirtschaften ist. Es gibt ja so viele Themen: die überbordende Bürokratie vom Lieferkettengesetz bis hin zur CO₂-Bepreisung. Die USA haben sich aus dem Klimaabkommen komplett verabschiedet, in China agiert man schlauer, in Brüssel hingegen - so kommt mir zumindest vor - hat man die vergangenen fünf Jahre versucht, Planwirtschaft zu betreiben. Das können wir nicht, das machen die Chinesen besser. Wir müssen nun schauen, wo wir falsch abgebogen sind und wo wir nachbessern können.

Oder die anderen, Klimaschutz wird von manchen Regierungen ja aktuell eher an die Wand gefahren denn umgesetzt. Was hätte man in Brüssel besser oder anders machen müssen? Wir reden gerade hauptsächlich über Verkehr und Mobilität, und ja, die Automobilhersteller haben auch Fehler gemacht. Ein großer Fehler war, dass wir die Konsumenten nicht ins Boot geholt haben. Es hieß zunächst, dass 2030 80 Prozent E-Fahrzeuge verkauft werden sollten. Das ist aus dem Ruder gelaufen, weil das bis dato nur von knapp 20 Prozent der Käufer angenommen wird. Die Konsumenten lassen sich bei relevanten Haushaltsthemen ungern vorschreiben, wofür sie ihr Geld ausgeben müssen. Natürlich dürfen wir den Klimaschutz nicht an die Wand fahren. Aber wir dürfen uns nichts vormachen, inzwischen sind viele müde geworden, darüber zu reden. Und nur weil man ein E-Auto kauft, tut man nicht gleich der Umwelt etwas Gutes. Insbesondere dann nicht, wenn über 80 Prozent der weltweit verbauten Akkus in China mit Kohlestrom hergestellt werden.

Sie finden, der Markt hätte es besser geregelt? Seit fünf Jahren oder länger reden wir über Technologieoffenheit und darüber, dass man es vom Markt hätte entscheiden lassen sollen und nicht vom Gesetzgeber. Wenn wir über synthetische Kraftstoffe sprachen, wurde abgewinkt und gesagt: Das brauchen wir für die Flugzeuge und Schiffe. Dort wiederum gibt es noch keine griffige Regulatorik. Auch bei der Dekarbonisierung der Schifffahrt durch Wasserstoff passiert vergleichsweise wenig. Hätte man zu angemessener Zeit Rahmenbedingungen und Anreize für synthetische Kraftstoffe geschaffen, würde es heute anders aussehen und dem Klima brächte es auch mehr. Es war politisch ein Riesenfehler, dass wir die Kraftstoffthematik weggewischt haben. Hier könnten wir schon viel weiter sein.

DATEN & FAKTEN

28,5 Mrd. Euro betrug der Branchenumsatz der Automotive- und Zulieferindustrie im Jahr 2024, das ist ein Rückgang von 9,2 Prozent.

76.900 Menschen arbeiteten Ende 2024 in der Branche. Rund 5000 Jobs sind zuletzt weggefallen.

320 Mill. Euro hat die Automotive- bzw. Zulieferindustrie noch im Jahr 2021 für Investitionen ausgegeben. Die Exportquote in der Branche liegt bei 85 Prozent.