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Die Abendröte der Hausmeister

Nostalgie samt Überraschungen. Radfahren durch schattige Wälder, mit dem Boot durch die Lagunen. Ein Besuch an der Adriaküste ist weit mehr als ein bloßer Badeurlaub.

Einen Ausflug wert: der Leuchtturm von Bibione.
Einen Ausflug wert: der Leuchtturm von Bibione.
Abendstimmung in Caorle.
Abendstimmung in Caorle.
Abendstimmung in Caorle.
Abendstimmung in Caorle.
Die Radwege führen durch schattige Wälder.
Die Radwege führen durch schattige Wälder.





Schnell noch das Zeugnis abholen und dann ab ans Meer: Für etliche Österreicher waren als Kind die Sommerferien gleichbedeutend mit einem Urlaub an der Oberen Adria. Egal ob Grado, Lignano, Bibione oder Caorle - es gibt kaum jemanden, der nicht hier seine Füße zum allerersten Mal ins salzige Meerwasser gehalten hat. Und noch immer hält Österreich dem sogenannten Hausmeisterstrand die Treue: Gemäß der Daten der Statistik Austria ist Italien seit Jahren das beliebteste (Auslands-)Reiseziel von Herrn und Frau Österreicher. Knapp 23 Prozent aller Auslandsreisen gingen im vergangenen Jahr nach Bella Italia, eine Vielzahl davon an die Adriaküste. In Jesolo machten rot-weiß-rote Urlauber 2017 gar die mit Abstand stärkste ausländische Gruppe der Touristen aus.

Warum es uns immer wieder an die Obere Adria zieht? Nur wenige Autostunden von den eigenen vier Wänden entfernt warten lang gezogene Sandstrände samt ansprechendem Hinterland, Städte wie Venedig oder Triest sind leicht zu erreichen. Ob dieser Vorzüge nehmen es viele Urlauber in Kauf, dass das Meer nicht ganz so sauber ist wie andernorts und die Strände speziell im Hochsommer heillos überfüllt sind.

Es gibt in der Region freilich mehr zu entdecken als die unzähligen weitläufigen Sandstrände. Die Schönheit der Küste lässt sich am besten mit dem Rad erkunden. Fast alle Hotels verleihen Fahrräder, auch Kindersitze für die Kleinsten stehen zur Verfügung. Entlang der Strandpromenade in Bibione etwa windet sich ein neun Kilometer langer Radweg, der für jedermann zu bewältigen ist. Praktisch ohne jegliche Anstiege verbindet der Promenadenweg das östliche Ende des Orts mit der Westspitze von Bibione. Einen Stopp sollten Radfahrer beim einsam thronenden Leuchtturm des Orts einlegen. Das kleine Häuschen samt weißem Turm liegt direkt am Strand und ist ein begehrtes Fotomotiv. Der Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute Leuchtturm ist mittlerweile unbewohnt, dient aber noch immer als Seezeichen für Schifffahrer.

Durch einen üppigen Kiefernwald führt der Radweg knapp 500 Meter weiter in Richtung Osten zur Mündung des Flusses Tagliamento zu einer alten Landungsbrücke. Früher mussten Radler und Fußgänger an dieser Stelle umdrehen, seit diesem Frühjahr führt eine kleine Fähre vom östlichsten Punkt Bibiones hinüber nach Lignano Sabbiadoro. Das kleine Boot bietet Platz für zehn Personen samt Fahrrädern und fährt bis Ende September täglich im 20-Minuten-Takt. Die Benutzung ist kostenlos, die Wartezeiten in der Hochsaison dementsprechend hoch. Bis zu einer Stunde müssen Radfahrer einplanen. Ein Lichtblick: Direkt neben der Anlegestelle in Lignano Sabbiadoro liegt das Restaurant "Al Cason". Ein Gläschen Wein oder ein kühles Bier auf der Sonnenterrasse mit Blick auf den Tagliamento lassen das Warten auf die Fähre wie im Flug vergehen. Insgesamt stehen rund um Bibione neun unterschiedliche Radrouten zur Verfügung. Die längste - eine Rundfahrt um die Lagunen - umfasst immerhin 48 Kilometer.

Apropos Lagune: Wer der Hektik und dem Rummel der Badeorte entkommen möchte, sollte unbedingt eine Fahrt durch die unzähligen Kanäle der Meereslagunen unternehmen. Mit einem der privaten Motorboote, die teilweise auch ohne Führerschein ausgeliehen werden können, oder auf einem Ausflugsschiff schippert man im gemächlichen Tempo dahin und kann unterschiedlichste Vogelarten bestaunen. Am Ufer und auf kleinen Inseln mitten im Wasser sind die unzähligen Fischerhütten nicht zu übersehen. Die "Casoni" genannten Behausungen dienten einst den Fischern der Region als Unterschlupf. Die Angler nutzten die vorhandenen Rohstoffe: Dächer und Wände der "Casoni" sind aus Schilf, Türen und Fensterrahmen aus Holz. In der Mitte der Hütten diente eine Feuerstelle aus Stein oder Ziegeln zum Heizen und Kochen. Mittlerweile haben die Besitzer ihre Hütten modernisiert, viele Eigentümer nutzen sie als Sommerresidenz. Touristen können die "Casoni" nur in Ausnahmefällen besichtigen.

Auch vom westlich angrenzenden Badeort Caorle lassen sich die Lagunen mit dem Rad oder zu Fuß besuchen. Ausflugsschiffe machen sich in der Hochsaison täglich auf den Weg. Wo sich das Süßwasser der Flüsse Lemene und Livenza mit dem Meerwasser mischt, ließ sich einst Ernest Hemingway zu seinem Roman "Über den Fluss und in die Wälder" inspirieren. Der amerikanische Schriftsteller besuchte das Naturparadies zu längst vergangenen Zeiten, als noch die Fischerei und nicht der Tourismus die Haupteinnahmequelle der Region war.

4,5 Millionen Nächtigungen zählte das Küstenstädtchen mit seinen 12.000 Einwohnern im Vorjahr. Jeder Siebte kam aus Österreich. Allein ist man in Caorle selten. Aber Klein-Venedig, wie die Stadt auch genannt wird, hat sich herausgeputzt. Die Fassaden rund um den Campanile strahlen in Orange, Karminrot und Waschblau in der Sonne. Im Café an der Piazza Papa Giovanni wird eiskalter Aperol Spritz serviert - halb so teuer wie zu Hause. Die kinderwagentaugliche Promenade zieht sich die gesamte Küste entlang. Im Zentrum, an den "lebenden Klippen", schlägt ein Bildhauer seinen Hammer in den Trachytstein. Die Felsblöcke, die an der Küste zum Schutz vor dem Meer aufgetürmt wurden, werden nun in eine Skulpturengalerie verwandelt.

Im alten Hafen liegen die Fischerboote vor Anker, die Netze trocknen am Pier in der Sonne. Am Fischmarkt wird der Fang des Tages verkauft: Moschuskrake, Wolfsbarsch, Aale und Seebrassen. Probieren kann man all dies auch in den Fischlokalen ringsherum. Empfehlenswert: Das "Porto Piccolo" gleich neben dem Fischmarkt. Der Nachtisch wird besser nicht im Sitzen eingenommen: Abends verwandelt sich die Fußgängerzone in ein Freiluftwohnzimmer. Ein Gelato zum Flanieren ist Pflicht.

Auf beiden Seiten der Altstadt erstrecken sich kilometerlange Strände. Bunte Sonnenschirme reihen sich aneinander, so weit das Auge reicht. Dazwischen klauben Bademeister Müll auf, Rettungsschwimmer dümpeln auf kleinen Booten übers Wasser. Wer will, kann bei einer Yogastunde mit dem Sonnengruß in den Tag starten oder am Nachmittag bei einem Stand-up-Paddling-Kurs übers Wasser gleiten. Es gibt Kinderbetreuung und Animateure. Für alle, die um knapp 20 Euro pro Tag einen Sonnenschirm samt Liegen mieten, sind diese Leistungen inbegriffen.

Der weitläufige Oststrand mit Blick auf das Kirchlein Madonna dell'Angelo direkt am Meer ist für Familien besonders gut geeignet. Kleine Kinder können in Strandnähe im knöcheltiefen Wasser sicher spielen. Wer schwimmen möchte, muss erst eine Weile ins Meer spazieren. Schneller den Boden unter den Füßen verliert man am Weststrand. Hier sind Schwimmer besser aufgehoben. Neue Strandabschnitte für spezielle Zielgruppen wurden eröffnet: Am "Bau Beach" sind Hunde und ihre Besitzer willkommen. Der "White Oasis" wird als Luxusstrand angepriesen und lockt mit für Adria-Verhältnisse weit voneinander entfernten Pavillons. Sechs Meter Abstand bis zur Nachbarlaube werden hier eingehalten.

Die meisten Urlauber müssen mit weniger Platz vorliebnehmen. In der zweiten Reihe, am Sonnenschirm 45B, entern zwei italienische Kinder die spärlichen Freiflächen der Liegestuhlnachbarn. Sandspielzeug dies- und jenseits der imaginär verlaufenden Grenze wird zu einem Haufen zusammengetragen. Drei Kindermünder plappern drauflos. Alle verstehen sich prächtig, auch wenn die gemeinsame Sprache fehlt. Erste Urlaubsfreundschaften werden geschlossen.

Die Eltern lehnen sich derweil gemütlich im Liegestuhl zurück, während sich ein "Cocobello"-Verkäufer laut rufend seinen Weg durch das Liegestuhlmeer bahnt. Wer hierherkommt, sucht und findet: den längsten Sandkasten, die größte Badewanne und ein wenig Nostalgie.