Der genannte Artikel betrifft ein Thema von leider nicht hoch genug zu schätzender Bedeutung. Und vielen Aussagen der befragten Psychotherapeuten ist uneingeschränkt zuzustimmen. Allerdings gilt das nicht für ihren Abstecher in die politische Ökonomie.
Eigentlich sollte schon der im Text fehlende antike Begriff der Hybris deutlich machen, dass es sich um ein uraltes Phänomen handelt, das man schwerlich mit Entwicklungen der Moderne in kausalen Zusammenhang bringen kann. An geschichtlichen Beispielen für dieses Phänomen mangelt es in den letzten 2000 Jahren wahrlich nicht. Die Entwicklung von Persönlichkeiten wie Putin und Xi Jinping (fehlt da nicht noch ein Nordkoreaner?) fand in Systemen statt, die man nur schwerlich als kapitalistisch bezeichnen kann. Dass der Kapitalismus eine Reihe von Fehlentwicklungen mit sich gebracht hat, ist unbestreitbar. Aber bei aller Problematik sollte man nicht ganz übersehen, dass es da auch Zusammenhänge mit dem Ideal der Freiheit gibt. Das alte Trio der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - passt halt leider nicht ganz so bruchlos zusammen.
Es ist keine Neuigkeit, dass in demokratischen Systemen, in denen es noch Checks and Balances gibt, die Hybris Einzelner eher kontrolliert und in Grenzen gehalten werden kann als in Systemen, in denen durch Berufung auf die Herrschaft, die Meinung und den Willen des ganzen Volkes jede Kritik als Verrat unterbunden werden und damit die faktische Herrschaft Einzelner einzementiert werden kann.
Das Auftreten narzisstischer Führer auf den entfesselten Kapitalismus zurückführen zu wollen, führt auf eine völlig falsche Fährte. Solche Phänomene sind in westlichen Demokratien bedauerliche Ausnahmen, in sich selbst als kommunistisch bezeichnenden Systemen die Regel.