Leserbrief

Den Tourismus neu aufsetzen

Wenn ich dieser Tage aufblicke in einen makellos blauen Himmel ohne Kondensstreifen und Fluglärm, kommt mir ein Stoßseufzer: Endlich, endlich ist diese Raserei zu einem Stillstand gekommen.

Die Beiträge in den SN vom vergangenen Montag, 6. 4., (Werner Taurer, Leo Bauernberger und Winfried Herbst) haben eindrücklich aufgezeigt: Der Tourismus muss grundsätzlich neu aufgesetzt werden.

Ein Grundfehler des Tourismus, wie er sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, ist, dass die ursprünglichen Ziele des Reisens (etwa Erholung, Bildung und Horizonterweiterung) aus den Augen verloren wurden; stattdessen hat sich eine "Industrie" etabliert, in der es in erster Linie um Gewinnmaximierung geht, daher auch um Steigerung der Umsätze, der Übernachtungszahlen, der Flugbewegungen …

Ein ebenso großes Problem wie der bei uns stattfindende Ingoing-Tourismus mit seinen Auswüchsen ist meiner Meinung der Outgoing-Tourismus. Menschen hetzen in die "Traumdestinationen", die ihnen die Reiseindustrie und ihr Konsumenten-Ego einreden, "je Flieger desto lieber". Städte, Kulturschätze und Naturjuwele verkommen zu Konsumgütern: Selfie, hopp und ex. Bildung? Minimal. Erholung? Fraglich.

Ich plädiere für eine Regionalisierung und Entschleunigung des Tourismus. Zugespitzt gesagt: Kein Mensch braucht einen Flieger für einen Urlaub. Erholen kann man sich in einem Radius, der mit Bus und Bahn erreichbar ist, genauso gut. Und für die Bildung und Horizonterweiterung sind kurze Trips in fremde Kulturen ohnehin sinnlos. Um eine fremde Kultur wie die indische oder die arabische auch nur ansatzweise zu verstehen, braucht es viel mehr Zeit - und am besten Sprachkenntnisse. Ein guter Roman aus einem fremden Land bildet mehr als eine Last-Minute-Reise.

Ich habe volles Verständnis für Inhaber und Beschäftigte von touristischen Einrichtungen, wenn sie sich derzeit ausschließlich auf das Überleben ihrer Betriebe konzentrieren. Aber alle, die in Politik und Standesvertretungen irgendwie konzeptionell über Tourismus nachdenken, sollten aus der jetzigen Zäsur zügig an den Umbau des Tourismus in Richtung Regionalisierung und Entschleunigung gehen. Die Klimakrise macht es ohnehin notwendig.

Mag. Georg Haigermoser, D-83395 Freilassing

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