Zum Leitartikel von Manfred Perterer "Wenn die Seele schmerzt, schauen wir gern weg" (SN v. 31. 7.):
Schneller, höher, besser. "Struggle of existence". Sozialdarwinismus in voller Konzentration. In Wirtschaft, Kultur, Politik, Sport, Familie. Einfach überall. Dass der Körper Abnutzungserscheinungen zeigt, wird akzeptiert. Der Seele widerfährt eine solche Akzeptanz fast nie. Die drei Stufen des Fremdempfindens, Empathie - Mitgefühl - Mitleid (im Sinne des richtigen Mitleidens mit Anderen), werden oft schon selbst als Erkrankung betrachtet. Diese einfachste Jedermanns-Form der kausalen und symptomatischen Therapie wird zum Makel erklärt. Ganz einfach. Einfach aus dem Handgelenk. Zulässiges Mitgefühl endet beim kleinen Mädchen, das sich im Tiergarten verläuft und seine Mutter nicht mehr findet oder beim Burschen, der ungesehen vom Vater auf einem hohen Geländer turnt.
Wenn sechs Prozent der Bevölkerung unter Depressionen leiden, muss aber etwas verschärfend beachtet werden. Es sind die diagnostizierten konkreten Fälle nach ICD-10. Sie haben nichts mit der Niedergeschlagenheit, die man selbstdiagnostisch und falsch als Depression bezeichnet, zu tun. Würde man diese Form der Beeinträchtigung einbeziehen, müssten die statistischen Alarmglocken noch lauter läuten, denn die Niedergeschlagenheit tritt fast schon massenhaft auf und ist das Wartezimmer zur seelischen Hölle.
Wir sollten bewusst hinsehen! Dass es aber beim Konjunktiv bleibt, liegt daran, dass unser Blick dem eigenen Wohl vorbehalten ist. Wer siehst schon gerne auf die paar Reiskörner in einer zittrigen und zerfurchten Hand, wenn doch der duftende Sonntagsbraten vor der eigenen Nase steht.