Ich bin stolz und froh, zur Kirche in Österreich zu gehören, wo viele Menschen die Stimme gegen die neueste Anweisung der Vatikanischen Glaubenskongregation erheben, welche die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren verbieten möchte. Die Katholische Jugend, die Frauenbewegung, viele Priester und sogar Bischöfe haben dagegen Stellung bezogen, von einigen Kirchen weht die Regenbogenfahne.
Die kirchliche Lehre kennt den so genannten Sensus fidei fidelium, den "Glaubenssinn der Gläubigen". Beim Theologiestudium in den 90er-Jahren ist uns dieser zwar vorenthalten worden, ich bin dennoch darauf gestoßen. Er bezeichnet (laut Wikipedia) einen "Instinkt für die Wahrheit des Evangeliums", eine "ganz persönliche, tiefe Kenntnis des kirchlichen Glaubens", die es allen Mitgliedern der Kirche - "von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien" - ermöglicht, "echte christliche Lehre und Praxis zu erkennen und zu befürworten sowie zurückzuweisen, was falsch ist".
In dem aktuellen vatikanischen Dokument heißt es, dass : "… die zu segnende Wirklichkeit objektiv und positiv darauf hingeordnet ist, die Gnade zu empfangen und auszudrücken, und zwar im Dienst der Pläne Gottes, die in die Schöpfung eingeschrieben und von Christus dem Herrn vollständig offenbart sind."
Homosexuelle Menschen sind Teil von Gottes Schöpfung und ich kann in der Bibel auch kein Zitat von Christus finden, das ein Verbot einer Segnung rechtfertigen würde. Im Gegenteil: Jesus hat die harten Gesetze des Judentums seiner Zeit angeprangert und den Mensch über das Gesetz gestellt. Er ist auf Menschen, die damals an den Rand gedrängt wurden, besonders zugegangen! Kein Wunder, dass viele Gläubige die Anweisungen der Glaubenskongregation als falsch empfinden.
Dazu kommt, dass die Kirche bis hinauf in die Gegenwart mit Missbrauchsfällen zu kämpfen hat, bei denen in den eigenen Reihen ungesunde, gewalttätige Sexualität gelebt wurde und wird. Anstatt die betroffenen Priester sofort abzuziehen und anzuzeigen, durften diese weiterhin unbehelligt andere Menschen segnen (!). Wie ungeheuerlich erscheint es angesichts dessen, Menschen, deren Beziehung in Liebe und gegenseitigem Respekt gründet, den Segen zu verweigern.
Unter Priestern gibt es ebenfalls viele Männer, die homosexuell empfinden, auch wenn sie durch den Zölibat ihre Sexualität nicht leben. So hat sogar Benedikt XVI. von einer "Schwulen-Lobby" im Vatikan gesprochen.
Die seltsame Haltung eines Teils der Kirche zur Homosexualität kann ich mir nur durch den psychologischen Abwehrmechanismus der Projektion erklären: Was man selbst nicht leben kann, wird an anderen verfolgt.
Im Endeffekt führt die in vielen Belangen kompromisslose Haltung des Vatikan dazu, dass immer mehr Gläubige ihrem Glaubenssinn folgen: Sie treten aus der Kirche, die ihr Verständnis von Menschlichkeit und Empathie nicht mehr abbildet, aus.