Leserbrief

Respekt ist ein Fremdwort geworden

Es sollte niemandem etwas weggenommen werden, war die erste Aussage der Regierung nach dem Urteil des EuGH hinsichtlich des Karfreitags. Jetzt ist alles ganz anders. Für die handelnden Verantwortlichen besteht offenbar nicht einmal Erklärungsbedarf für diese 180 Grad Kehrtwendung. Kein Problem, es betrifft ja nur ganz Wenige. Es sind doch nur 4 Prozent evangelische Arbeitnehmer und dann noch ein paar Altkatholiken und ein paar Methodisten. Dass nach dem Urteil des EuGH der Karfreitag als Feiertag für einen Teil der Österreicher abgeschafft werden könnte, war zwar vorhersehbar. Wie aber von Seiten der Regierung damit umgegangen wird, zeigt in welcher Gefahr sich unsere schwer erkämpfte Demokratie befindet. Da wird ein ganzes Land mit einer schön ausformulierten Erklärung in die Irre geführt. Es entsteht den Eindruck, dass nicht nur der evangelische Bischof im ersten Moment nicht verstanden hat, dass er über den Tisch gezogen wurde. Es ist der Umgang mit den Menschen, der Betroffenheit und Sorge auslöst. Wer sich mit der Geschichte der evangelischen Bevölkerung in Österreich jemals beschäftigt hat, weiß, dass einem Großteil der Vorfahren dieser Menschen viel Leid - Enteignung, Entrechtung, Vertreibung, Ermordung - angetan wurde. Während der Nachkriegsjahre haben sich viele Evangelische in Salzburg eine neue Existenz aufgebaut. Sie haben den Gräuel, den sie erlebt haben, hinter sich gelassen, nach vorne geblickt und auf die Werte der Demokratie vertraut. Benachteiligende Änderungen, die - aus welchen Gründen auch immer - umgesetzt werden sollen, können nur im Gespräch und im Konsens mit den Betroffenen vereinbart werden, sonst ähnelt der Vorgang einer Enteignung und Entrechtung. Wie aktuell mit jenen Menschen umgegangen wird, denen die Regierung einen bisher zustehenden freien Tag wegnimmt, ist an Respektlosigkeit und Geringschätzung nicht zu überbieten. Respekt gegenüber allen, vor allem aber jenen, die anderer Meinung sind, ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Wo sind diejenigen, die den Respekt und die Aufrechterhaltung der demokratischen Werte in Österreich einfordern?


Irene Baron, 5020 Salzburg

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