SN.AT / Panorama / Geist & Welt

Fritjof Capra: Jetzt beginnt das Sonnenzeitalter

Der Vorreiter der Ökologiebewegung sieht die von ihm vorhergesagte Wendezeit angebrochen - im systemischen Denken.

Fritjof Capra ist einer der weltweit bedeutendsten Vordenker der Ökologiebewegung.
Fritjof Capra ist einer der weltweit bedeutendsten Vordenker der Ökologiebewegung.

"Der Übergang zum Solarzeitalter, den ich vor 40 Jahren vorausgesagt habe, findet nun wirklich statt, wenn auch noch zu langsam", sagt Fritjof Capra. "Heute ist die Mahnung der Klimawissenschaft klar: Wir müssen alle fossilen Brennstoffreserven im Boden lassen, um einen vollständigen Klimakollaps zu vermeiden."

Capra, der zu den weltweit bedeutendsten Vorreitern der Ökologiebewegung gehört, kritisiert die großen Ölkonzerne: "Sie tun alles, um gegen jegliche Beschränkungen der CO2-Emissionen zu kämpfen, sogar bis dahin, dass sie die Wissenschaft des Klimawandels systematisch leugnen." Das sei zu einem moralischen Problem geworden. Kurzfristige Gewinne würden für wichtiger gehalten als das langfristige Wohlergehen der Gemeinschaft des Lebens auf der Erde.

Tatsache sei, dass wir uns mitten in einer globalen Krise mit vielen Facetten befinden. "Wir erleben jetzt alle katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels, die Wissenschafter und Umweltaktivisten vor mehr als 30 Jahren im Detail vorhergesagt haben. Die Covidpandemie ist die jüngste Folge der Zerstörung der Regenwälder und anderer Ökosysteme." Die wirtschaftliche Ungleichheit, von Gier angetrieben, nehme ständig zu. "Und mit dem tragischen Krieg in der Ukraine sehen wir, so unglaublich es scheinen mag, einen Rückfall in das Denken des Kalten Kriegs, an das ich mich aus meiner Kindheit und Jugend erinnere."

Aus systemischer Sicht sieht Fritjof Capra alle diese Probleme miteinander verbunden und voneinander abhängig. "Die große Herausforderung ist, nachhaltige Gemeinschaften aufzubauen und zu pflegen, die so gestaltet sind, dass ihre Lebensweise - Unternehmen, Wirtschaft, materielle Strukturen und Technologien - die Fähigkeit der Natur zur Erhaltung des Lebens nicht beeinträchtigt." Der erste Schritt sei zu verstehen, wie die Natur das Leben erhalte. Capra verweist auf die Synthese der neuen Wissenschaft des Lebens, die er "das Systembild des Lebens" nennt.

Im Zentrum dieses Paradigmenwechsels vom mechanistischen zum systemischen Weltbild stehe ein tiefgreifender Wandel der Metaphern: von der Sicht der Welt als Maschine zum Verständnis als Netzwerk. "Unsere Fähigkeit, mit der Gemeinschaft des Lebens auf unserem Planeten zu koexistieren, wird davon abhängen, ob wir nach diesem neuen Verständnis des Lebens handeln können."

Das zentrale Dilemma der globalen Probleme sieht Capra in der Illusion, dass unbegrenztes Wachstum auf einem endlichen Planeten möglich sei. Freilich sei Wachstum ein Hauptmerkmal alles Lebens. Doch in der Natur sei Wachstum weder linear noch unbegrenzt. "Während bestimmte Teile von Organismen oder Ökosystemen wachsen, gehen andere zurück, setzen ihre Komponenten frei und recyceln sie, sodass sie zu Ressourcen für neues Wachstum werden. Diese Art von ausgewogenem, vieldimensionalem Wachstum ist den Biologen und Ökologen bestens bekannt. Ich nenne es qualitatives Wachstum, um es dem quantitativen BIP-Wachstum entgegenzustellen." Dieses qualitative Wachstum sei voll im Einklang mit dem systemischen Verständnis des Lebens, das im Wesentlichen eine Wissenschaft der Qualitäten darstelle.

Im 17. Jahrhundert begründete René Descartes seine Sicht der Natur auf der Trennung von zwei unabhängigen Bereichen - dem des Geistes, den er das "denkende Ding" (res cogitans) nannte, und dem der Materie, dem "ausgedehnten Ding" (res extensa). In dem neuen systemischen Verständnis des Lebens ist diese Spaltung zwischen Geist und Materie überwunden.

Der Fortschritt des Systembilds des Lebens besteht darin, die cartesianische Sichtweise des Geistes als "Ding" aufzugeben und zu erkennen, dass der Geist ein Prozess der Erkenntnis ist, der eng mit dem Lebensprozess verbunden ist. "Geistige Aktivität ist immanent in der Materie auf allen Ebenen des Lebens", betont Fritjof Capra und resümiert: "Zum ersten Mal haben wir eine wissenschaftliche Theorie, die Geist, Materie und Leben vereint."

KOMMENTARE (0)