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"Wir müssen raus aus dem Kopfkino"

Schreckensszenarien und der erhobene Zeigefinger führen zu keiner Veränderung unserer Lebensweise. Warum wir nicht so hoch entwickelt sind, wie wir glauben, und wie wir Kontakt zur Essenz des Lebens finden.

Vivian Dittmar ist Autorin und Impuslgeberinfür kulturellen Wandel. Bücher: „Gefühle & Emotionen“, „beziehungsweise“, „Das innere Navi“ und „Echter Wohlstand“.
Vivian Dittmar ist Autorin und Impuslgeberinfür kulturellen Wandel. Bücher: „Gefühle & Emotionen“, „beziehungsweise“, „Das innere Navi“ und „Echter Wohlstand“.

Vivian Dittmar, Impulsgeberin für kulturellen Wandel, zeigt im SN-Gespräch Wege auf, in einen guten Selbstkontakt zu kommen.

Ihr Denken und Arbeiten dreht sich zentral um ein "wirklich gutes", ein ökosoziales Leben. Wie versuchen Sie Menschen dafür zu gewinnen, die viel Angst davor haben, ihren Lebensstandard zu verlieren? Vivian Dittmar: Seit der Club of Rome 1972 die "Grenzen des Wachstums" proklamiert hat, ging alles um Verzicht: Du darfst kein Fleisch essen, nicht in den Urlaub fliegen und Auto fahren sowieso nicht. Dass die Menschen da nicht mitgingen, ist hausgemacht. Stattdessen brauchen wir ein Narrativ, das aufmerksam macht auf die innere Armut, die der Preis ist für unser "schneller, höher, weiter". Wir hätten viel mehr Lebensqualität, wenn wir nur mehr 20 Stunden pro Woche Erwerbsarbeit leisten müssten, weil wir kein ständiges Wirtschaftswachstum brauchen. Wir müssen die Menschen gut abholen und neben dem, was nicht mehr gehen wird, auch klarmachen, dass vieles besser gehen könnte.

Möglicherweise wird bald die Not uns zwingen, uns zu verändern. Brauchen wir diesen Druck? Wir sind nicht so hoch entwickelt, wie wir glauben. Wir können Entwicklungen mit unseren wissenschaftlichen Werkzeugen weit in die Zukunft voraussehen. Aber emotional erreicht uns das erst, wenn wir es am eigenen Leib spüren. Dann ist es zu spät. Das haben wir bei Corona gesehen. In dem Moment, wo jede und jeder einen erkrankten Mitmenschen kannte, war es zu spät. Beim Klimawandel ist es dasselbe. Wenn wir die Auswirkungen am eigenen Leib spüren, ist es zu spät. Der Konflikt ist, dass wir zwar intellektuell begreifen: Wir müssen etwas tun! Aber wir tun es nicht, weil unsere Handlungsbereitschaft nicht aus dem Kopf kommt, sondern aus der Emotionalität, aus dem Bauch.

Warum tut der Bauch nicht mit? Weil er sich stark auf Erfahrungswissen bezieht, das wir im Laufe des Lebens sammeln. Wenn wir ein solches Wissen nicht haben, z. B. zu einer Pandemie oder zum Klimawandel, dann sagt der Kopf: Wir haben ein Problem. Der Bauch sagt: Nö, haben wir nicht.

Was bringen Sie nach Goldegg mit, um Menschen mit ihren Befürchtungen abzuholen und aufzufangen? Wir können unsere Situation emotional nur verarbeiten, wenn wir rauskommen aus dem Kopfkino, das immer mehr Ängste erzeugt. Der Kopf hat in Situationen wie jetzt die Tendenz, Überstunden zu machen und sich alle möglichen Horrorszenarien auszumalen, anstatt konstruktiv Lösungen zu suchen.

Daher arbeite ich mit Menschen gern daran, dass sie lernen, in einen guten Selbstkontakt zu kommen: Wie kann ich mich selbst beruhigen und regulieren? Nicht im Sinne von "es wird schon wieder alles gut", sondern: Ja, es ist wirklich schlimm, aber wenn ich mich berühren lasse von dem, was gerade geschieht, ist da auch ein großes Potenzial, in die Handlung zu kommen - und das Solardach, das schon lang im Kopf gekreist ist, endlich zu montieren. Das hilft, nicht in Sorgenschleifen und Ängsten zu ertrinken.

Ist damit auch das gemeint, was Sie spirituellen Wohlstand nennen? Spiritueller Wohlstand ist das, was in vielen Kulturen durch die Religion abgedeckt wird. Da finden Menschen einen inneren Zugang zu dem, was sie trägt in all den Irrungen und Wirrungen des Lebens. Diesen Kontakt haben wir weithin verloren. Dadurch fühlen sich viele so stark ihren eigenen Gedanken, ihrem Kopfkino ausgeliefert. Was sich anbietet, auch ohne Religion, ist die Natur, in der ich in Kontakt komme mit einer Essenz in mir und einer Essenz des Lebens. Das nährt und gibt Halt. Auch Achtsamkeitspraxis oder Musik sind Wege. Entscheidend ist nicht, welchen ich wähle, sondern dass ich einen habe.

Vivian Dittmar ist Autorin, Gründerin der Be-the-Change-Stiftung und Impulsgeberin für kulturellen Wandel. Ihre Kindheit und Jugend auf drei Kontinenten sensibilisierte sie früh für die globalen Herausforderungen unserer Zeit. Zu ihren Bucherfolgen zählen "Gefühle & Emotionen", "beziehungsweise", "Das innere Navi" und "Echter Wohlstand".

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