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Das Leben, ein Rausch: Eine Geschichte der Trunkenheit in Salzburg

Genuss und Besäufnis. Willkommen im Fasching, der eher unnüchternen Jahreszeit. Eine Zeitreise zu den Trinkgelagen der Vergangenheit.

Auch in Krisenzeiten werden die Tage vor dem Aschermittwoch nicht trocken bleiben. Das Ende des Faschings ist für viele der Höhepunkt des Winters - und, ob in geschlossenen Räumen oder unter freiem Himmel, es wird ausgiebig getanzt und gefeiert, zumeist mit Bier, Schnaps und Sekt. Die Geschichte des, sagen wir es offen, Besäufnisses ist für Salzburg recht gut rekonstruierbar. Getrunken und gern auch zu viel getrunken wurde, so weit die schriftlichen Quellen zurückreichen. Unternehmen Sie mit uns einen feuchtfröhlichen Streifzug durch die Jahrhunderte.


Das Mittelalter


Von sand Marteins frewden
Wer nu welle sein sand Marteins gast,
sorgen last dy sey im als ein past,
er trinkch vnmassen vast.
wann er gee gein rast,
er sweb als vor dem wint ein ast.
Vast so well wir trincken,
das hincken dy czungen, dy lungen
vmb dy went gent tasten.
raichher den pecher
vnd laß vns aber czechen,
ob du icht mehr hast -
geus aus, schenk ein!

Wer nun St. Martins Gast sein will,
dem sei die Last der Sorgen leicht,
er soll maßlos und fest trinken
Wenn er zu Bett geht,
soll er schweben wie ein Ast im Wind.
Fest wollen wir trinken,
dass uns die Zunge und der Atem lahmen
und wir uns die Wände entlangtasten.
Reich her den Becher und lass uns wieder zechen,
wenn du noch mehr hast - gieß aus, schenk ein!

Was Sie da gelesen haben, hört sich doch schon mal ziemlich lustig an. Das ist ein Martinslied des wichtigsten deutschen Lyrikers des späten Mittelalters. Der "Mönch von Salzburg" wirkte am Hof des Erzbischofs Pilgrim von Puchheim. Unter des Mönchs vier "Lobgesängen" auf den Wein gelten zwei Martinslieder dem 11. November. Da schloss man das bäuerliche Wirtschaftsjahr ab - und verkostete den neuen Wein. Es gab Krapfen, Kuchen und Schmalzgebäck, bald auch gebratene Ganseln. Im Herbst-Trinklied des Mönchs ist die Tischgesellschaft durchaus maßlos im Weingenuss.

Am Salzburger Hof war man mit dem Rebensaft auch gut versorgt. Schon im 9. Jahrhundert gab es Schenkungen von Weinbergen an das Erzstift und die Salzburger Klöster. Aus der Schenkung König Ludwigs des Deutschen gingen die Ämter Oberloiben, Traismauer und Arnsdorf hervor, 860 erstmals als Wachau bezeichnet. Der "Osterwein" aus Ostarrichi kam fassweise nach Salzburg.


Renaissance

Dieser Tanz ist nun aus (Volkslied)
Dieser Tanz ist nun aus
Den wir den Herrn haben bracht zu Haus
Die Herrn werden sich auch bedenken
Und werden uns ein Trankgeld schenken:
Ein Kopfstück oder vier
So komm ich mit meinen Gesellen zum Bier
Ein Kopfstück oder neun
So komm ich mit meinen Gesellen zum kühlen Wein.

467.650 Liter. Das ist das Weinreservoir, das sich die Fürsterzbischöfe bis 1554 in der Residenz eingelagert hatten. Das Inventar listet Hunderte Positionen auf, eigene und importierte Weine aus Spanien, Ungarn und Griechenland.

Diese Alkoholfülle brauchte man, denn der tägliche Umschlag in der Residenz war enorm. Um 1611/12 erhielten 99 Personen Wein als Lohnbestandteil, insgesamt "zahlte" man 200 Liter täglich aus. Noch mehr ging bei den Mahlzeiten drauf: 184 sogenannte Hoftafelberechtigte hatten Anspruch auf täglich zwei Mahlzeiten samt Wein, dafür brauchte man 600 Liter. Wobei: Bei der Qualität bestanden deutliche Standesunterschiede. Das Gros der Höflinge erhielt Gesindewein, Höhergestellte den Truchseß- und Offizierswein, nur wenige bekamen Edelleut- oder Räthewein. Die teuren Süßweine waren nur für den Erzbischof und die Spitzen des Hofstaats bestimmt.

Neuzeit


PEDRILLO: Vivat, Bachus! Bachus lebe!
Bachus war ein braver Mann!
OSMIN: Ob ich's wage? Ob ich trinke?
Ob's wohl Alla sehen kann? …
PEDRILLO / OSMIN: Das schmeckt treflich!
Ah! das heiss ich Göttertrank!
Vivat Bachus, Bachus lebe,
Bachus, der den Wein erfand!

In der 1782 uraufgeführten "Entführung aus dem Serail" von Wolfgang Amadeus Mozart macht Pedrillo den Haremswärter Osmin mit hochprozentigem Cypernwein zur Fluchtvorbereitung betrunken. Über Osmins Zweifel siegt seine Genussgier und er meint: "Wein ist ein schönes Getränk; und unser großer Prophet mag mirʼs nicht übel nehmen."

Der "Zypernwein" war in dieser Zeit ein bei Hof und beim vermögenden Bürgertum Salzburgs beliebter Weißwein. Im Keller der Kaufmannsfamilie Spängler etwa lagerten 1774 rund 4000 Liter. Der Wert: 560 Gulden - ein Jahresverdienst eines höheren Beamten. Schauen Sie sich noch heute einmal das Firmenwappen der Spänglerbank an - es zeigt zwei stehende Löwen mit einer großen Weintraube in ihren Pranken. Es kommt von den Vorfahren des Begründers der Salzburger Linie, die im Weinhandel zwischen Südtirol und Salzburg werkten.

Und was tranken Durchschnittsverdiener? Neben teuren Importweinen gab es auch günstigen, mit Kräutern versetzten "Kreitlwein". In der Ausgabe vom 3. März 1792 bringt das "Salzburger Intelligenzblatt" einen "Plan für eine ökonomisch eingerichtete Haushaltung", für die jährlichen Lebenshaltungskosten eines urbanen Zweipersonenhaushalts. Herausgeber Lorenz Hübner erstellte den Warenkorb auf der Einkommensbasis eines mittleren Beamten. Den Kosten für Grundnahrungsmittel, Miete und Männerkleidung folgten "Wein und Bier" mit 30 Gulden. Eine Bemerkung verrät, dass der Weinkonsum in der Mittelschicht gang und gäbe war: Er trinke, schreibt Hübner, während der Mahlzeit Wasser und danach ein Gläschen Wein, was ihm sehr wohl bekomme. Wir glauben ihm gern.

Wein war bei Festen unverzichtbar, auch bei weniger vermögenden Bürgern. Und Champagner, den es ab dem 17. Jahrhundert gab? Aus dem Schriftwechsel der Familie Mozart wissen wir von Faschingsfesten im Redoutensaal des Rathauses. Caterer wie der Wirt vom Goldenen Schiff oder der Cafetier Anton Staiger (heutiges Café Tomaselli) boten günstige Tiroler und "österreichische" Weine für 40 Kreuzer das Viertel (= 1,57 Liter) an, importierte Weine aus Zypern, dem Burgund oder vom Rhein kosteten pro Bouteille hingegen ab 1 Gulden 12 Kreuzer. Und es gab Champagner um 2 Gulden 30 Kreuzer.

Billiger waren die Weine im "Preuhaus auf der Gstetten." Der Wirt Johann Ambros Elixhauser dokumentierte Konsum und Kosten der Feiern und Feste der Salzburger Mittelschicht ab 1756. Als Zunftherberge war das damalige Stieglbräu zudem Anlaufpunkt für fremde Gesellen, die in der Stadt Unterstützung und "als Willkomm" eine Kanne Wein erhielten. Im Wirtshaus hielten die Zünfte ihr jährliches Treffen, den Jahrtag, ab. Nach Abwicklung der offiziellen Angelegenheiten wurde ausgiebig gefeiert. Zum Zunftjahrtag der Brauer konsumierten 1782 16 Personen 23 Liter Wein und 63 Liter Bier. Doch das Highlight des Abends war: eine Flasche "Schampanier".

Solch regelmäßiges Zechen führte freilich zu Problemen, auch für die Obrigkeit. 1598 kam es nach der Rückkehr eines stark betrunkenen Novizen im Stift St. Peter zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Abt Martin Hattinger, der ihn schließlich mit der Faust zu Boden streckte. Aus Rache legte der Betrunkene Feuer - und ein Großbrand konnte nur mit Mühe verhindert werden. Zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, verbrachte der Novize fünf trockene Jahre im feuchten Festungsgefängnis, ehe ihm 1603 die Flucht gelang.

Trunkenheit wurde in der frühen Neuzeit weniger als gesundheitliches, denn als Ordnungsproblem gesehen. Alkoholbedingte Vorfälle gab es in allen Kreisen, auch bei achtbaren Feiern. Darüber berichtet Leopold Mozart: "Die im September 1777 für fremde Kaufleute stattgefundene Veranstaltung im Eizenbergerhof begann seriös, endete aber mit viel Alkohol, so dass bald alles besoffen war. Sie trugen einander auf den Achseln in Procession herum und stoßen an den in der Mitte hängenden Luster, zerbrachen die mittlere Schale und andere Stücke, so dass man das zerbrochene wieder muß von Venedig ergenzen lassen."

Glas war ersetzbar, andere Vorkommnisse wogen schwerer. Alkoholkranke etwa gab es auch schon im Barock: Scharfrichter Simon Mandl und seine Frau hinterließen bei ihrem Tod zehn Waisen. Johann Michael Leimer heiratete eine der Töchter und musste mit der Ehe und Anstellung als Henker auch deren Versorgung übernehmen. Bald nach der Hochzeit am 25. Juli 1679 bekam Leimer - wie etliche seiner Berufskollegen - ein Alkoholproblem: Der Job war nichts für schwache Nerven. Zunächst hatte er nur Zechschulden, bald aber beeinflusste die Trunksucht seinen Scharfrichterdienst. In Abtenau, wo am Vormittag zwei "Zigeuner" hingerichtet werden sollten, kam Leimer so spät an, dass diese erst "… abents gegen 6 Uhr am Galgen hingen. Auf der Durchreise in Golling hatte er … im Würthshauß beÿm Trunckh alzuvil verweillet."

Bald darauf passierte ein desaströser Höhepunkt bei der stark berauscht vorgenommenen, missglückten Enthauptung einer Magdalena Dürnberger in Tittmoning. Seine Entschuldigung: "… als er den straich führen wollen, und beraith im werkh begriffen gewest, ihme unglikhlich die augen dergestalt verplendet worden seÿn, dass er nit anderst vermaint gehabt, als stehen dreÿ Köpf an der armen Sinderin aufeinander. Und weil er den straich nit mehr aufhalten konnte, sondern schon im schwung gewesen sei, habe er … auf den mitteren Kopf gezillet."

Die achttägige Kerkerstrafe hatte auf Leimer keine nachhaltige Wirkung. Bei der nächsten Hinrichtung kam es noch schlimmer. Leimer hatte die Catharina Pallingerin und Hans Georg Amberger "… mit mehrerleÿ Hieb' und Straichen ubel zugerichtet, und denen die Köpf erst auf der Erden mit dem schwehrt vom Leib abgeschniten. Hierauf sei er ganz verzagt geworden und hätte sich die dritte Malefizpersohn mit dem Schwerth zurichten nicht mehr getraut und habe das Fallpeil ergriffen." Dass Leimer den Scharfrichterdienst dann noch bis zu seinem Tod einige Jahre später ausübte, scheint unverständlich und ist nur aus der nötigen finanziellen Versorgung der Großfamilie erklärbar.


Monarchie

Das Lied vom Wein (Volkslied)
Das Lied vom Wein ist leicht und klein
und flößt euch Lust zum Trinken ein.
Und wer das Lied vom Wein nicht weiß,
der lern' es heut in unserm Kreis!
Ihr schwatzt nicht lang' beim Becherklang,
der Wein begeistert zum Gesang.
Wer singen kann, der preis' ihn hoch,
und wer's nicht kann, der summe doch!
Wein frischt das Blut, gibt neuen Mut
und schafft die Herzen mild und gut.

1860 bekam Salzburg den heiß ersehnten Eisenbahnanschluss und die ersten Touristen wollten ihre Erfrischungen. Als neuer Lokaltyp kam die Weinstube auf. Die Bahn brachte den Wein in die Stadt und viele Südfrüchtehandlungen sperrten auf, wo es dann auch Wein gab, der häufig bald zum Verkaufsschlager wurde. Viele italienische, ungarische, deutsche und Tiroler Weinstuben avancierten später zu den Nachtlokalen unserer Urgroßeltern. Eines der ersten Lokale befand sich etwa im Schatz-Durchhaus in der Getreidegasse. 1869 eröffnet, wechselten die Namen, zuletzt hieß das Beisl bis in die 1950er-Jahre Schatz Weinstube. In der Getreidegasse 24 sperrte 1875 die Erste steirische Weinhalle auf. Dort gab es zu steirisch-deftigem Essen Weine aus der heute slowenischen Untersteiermark. Viele Lokale gab es nur kurz, wie die ungarische Weinstube in der Schanzlgasse 10. Die Kaiviertlerin Rosa Zink hatte in Ungarn Andreas Banyai geheiratet. 1885 nach Salzburg zurückgekehrt, eröffnete der gelernte Spenglermeister eine Spenglerei und daneben die ungarische Weinstube. Mit seinem frühen Tod 1891 trug man auch diese zu Grabe.

Wo es heute in der Kaigasse 8 im Pub Dubliners irisches Bier gibt, sperrte 1887 der Obsthändler Narcisso Giacomelli eine italienische Weinstube auf, die sich nach mehreren Besitzerwechseln ab 1948 als Paracelsus-Weinstube noch jahrzehntelang erfolgreich jeglichem neuen Zeitgeist widersetzte.
Als Beispiel für die Entwicklung zum Nachtlokal unbedingt zu erwähnen ist die 1902 an der Ecke Linzer Gasse/Bergstraße situierte R. Schiders Weinstube. Schon ein Jahr nach der Eröffnung verkündeten Zeitungsinserate: jeden Mittwoch und Sonntag die ganze Nacht geöffnet! - was immer das auch hieß. Die feuchtfröhliche Stimmung bei Schider führte auch zu Meldungen über nächtliche Ruhestörung: 1907 machte ein Automobil nächtens zwei oder drei Mal eine Tour durch die Priesterhausgasse in die Bergstraße zur Weinstube und wurde dort mit großem Hallo empfangen. Die Presse dazu lakonisch: Hinterdrein spazierten mit der größten Seelenruhe zwei Wachmänner.

Es war um die Zeit, dass erstmals heftige Kritik am übermäßigen Alkoholkonsum aufkam. Im hochprozentigen Branntwein ertränkte die neue Schicht der Industriearbeiter ihre prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. "Branntweinpest" und "Elendsalkoholismus" waren neue Schlagworte. Josef Schweighofer (1866- 1928), der Leiter der "Landesheilanstalt für Geistes- und Gemütskranke" (heute Christian-Doppler-Klinik) kritisierte 1911, dass die etwa 36.000 Salzburger jährlich 210.000 Liter Branntwein konsumierten. Er schlug eine Trinkerfürsorgestätte und ein alkoholfreies Speisehaus vor. Erst 1920 wurde hierfür ein Landesverband gebildet, zehn Jahre später kam es zur Errichtung des "Trinkerfürsorgeheims" mit alkoholfreier Freizeitgestaltung. Die Zeit sei vorüber, schrieb das "Salzburger Volksblatt", in der man mit abfälligen Bemerkungen und Verständnislosigkeit an dem unermesslichen Elend des Massenalkoholismus vorbeisehe.

G. Ammerer u. H. Waitzbauer: Wirtshäuser. Eine Kulturgeschichte der Salzburger Gaststätten, Salzburg 2014. Bacchus in Salzburg. 1000 Jahre Weingeschichte, Salzburg 2019.