Die Beispiele, von denen Stefan Mayer und Gerhard Brunner vom Bundeskriminalamt (BK) berichten, ähneln einander. Sie handeln von Jugendlichen, die aus Betreuungseinrichtungen verschwinden. Tagelang untertauchen. Weil sie zurück zu ihren Eltern wollen, weil ihnen langweilig ist, oder aus Protest.
"Wir haben Jugendliche, die 100 Mal im Jahr abhauen", sagt Mayer, Leiter des Kompetenzzentrums für abgängige Personen (KAP), das es seit dem Jahr 2013 gibt.
Sie alle eint, dass ihr Verschwinden in die Statistik der vermissten Personen in Österreich einfließt. Aktuell sind dort mit Stichtag 1. Mai 1267 Personen als abgängig gemeldet - 521 Erwachsene und 746 Minderjährige. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Nicht-EU-Bürger.
Insgesamt wurden in Österreich 2017 mehr als 10.000 Vermisstenanzeigen erstattet. Im Schnitt 27 pro Tag. "Langfristig sind es zehn Fälle pro Jahr, die ungelöst bleiben", erklärt BK-Mann Brunner.
Was für die Ermittler immer mehr zur Herausforderung wird, sind Vermisstenanzeigen im Zusammenhang mit verschwundenen Personen mit Demenz. Rund 300 Anzeigen jährlich seien mittlerweile darauf zurückzuführen. "Wir hatten etwa einen Mann in Niederösterreich, der sich immer wieder das Auto seiner Frau geschnappt hat und einfach weg war", erinnert sich Mayer.
Doch es gibt auch Fälle, in denen Menschen ganz bewusst von der Bildfläche verschwinden. "Ein junger Mann, der unter der Fuchtel seiner Mutter stand, ist etwa in England untergetaucht." Werden als vermisst geltende Erwachsene gefunden, wird ihr Aufenthaltsort nur mit ihrem Einverständnis an die Verwandten weitergegeben. Prinzipiell gilt: "Die Polizei ist verpflichtet, jemanden zu suchen, der abgängig ist", sagt Mayer. "Dass dafür 24 Stunden vergangen sein müssen, stimmt nicht", ergänzt sein Kollege Brunner.
Doch zurück zu den 746 minderjährigen Abgängigen. Ein Blick auf die Altersverteilung zeigt, dass 563 davon zum Zeitpunkt ihres Verschwindens zwischen 14 und 18 Jahre alt sind, 183 unter 14 Jahren. Fast drei Viertel (73 Prozent) aller in Österreich Vermissten sind Minderjährige aus Betreuungseinrichtungen. "Meist tauchen sie nach wenigen Tagen wieder auf, aber der Aufwand für die Einrichtung und die Polizei ist enorm", sagt Mayer. Um dem entgegenzuwirken, wurde nun das Projekt "Heimvorteil" gestartet. Fünf Einrichtungen in Wien, Kärnten, Niederösterreich und Oberösterreich wurden ausgewählt, Polizisten arbeiteten dort mit Pädagogen zusammen und gestalteten Workshops mit den Jugendlichen, um sie zu sensibilisieren. Die Erfolgsquote: Die Zahl der Abgängigkeitsanzeigen ging um bis zu 50 Prozent zurück. "In Kärnten waren es sogar 80 Prozent", sagt Mayer.