Am Mittwoch vor einer Woche klickten für den Anführer einer großen Schlepperbande in Rumänien die Handschellen. Der 28-jährige Nicu Gavril O. war den Behörden längst bekannt. Rumänische und ungarische Polizisten fahndeten nach ihm mittels Europäischen Haftbefehls. In Österreich war er im Oktober 2021 spektakulär bei einem Ausgang ins Spital mit einem bereitgestellten Fahrzeug zwei Justizwachebediensteten entkommen, nachdem sich der Rumäne zuvor in seiner Zelle verletzt hatte.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sprach am Donnerstag von einem der größten Erfolge im Kampf gegen die internationale Schleppermafia. Die Bilanz: 205 Festnahmen in Österreich, Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Rumänien. Allein in Niederösterreich und dem Burgenland wurde 92 Verdächtigen das Handwerk gelegt. Die Ermittler stellten mehr als 80 Schlepperfahrzeuge sicher und gehen davon aus, dass mindestens 36.100 Migrantinnen und Migranten illegal eingeschleust wurden. Karner bezifferte den Umsatz der kriminellen Organisation mit mindestens 152 Millionen Euro.
Schlepper: "Wie eine Firma organisiert"
"An Spitzentagen waren bis zu 16 Fahrzeuge mit Geschleppten unterwegs", schilderte Franz Popp, Landespolizeidirektor für Niederösterreich. Und Gerhard Braunschmidt, Leiter des Landeskriminalamts Burgenland, ergänzte: "Die Organisation lief wie eine Firma. Sie war hierarchisch organisiert von oben nach unten." Es gab eigene Ankäufer für die Fahrzeuge, die Mobiltelefone wurden ebenfalls zentral eingekauft. Zahlungen für geliehene Identitäten, die für Ankauf und Anmeldung von Fahrzeugen und Mobiltelefonen verwendet wurden, wurden über einen Geldtransferdienstleister abgewickelt.
Für Lenker von Schlepperfahrzeugen gab es zudem eigene Unterkünfte in Penzing und Favoriten. Bei Hausdurchsuchungen in den jeweiligen Wohnungen konnten insgesamt 16 Bandenmitglieder festgenommen werden. Alles war bis ins kleinste Detail durchorganisiert: Eine Werkstätte in Biedermannsdorf (Bezirk Mödling) war für den Umbau der Fahrzeuge verantwortlich, eine weitere Werkstätte in Wien-Leopoldstadt übernahm den Ankauf der Luftfedern und mechanisch aufwendige Reparaturen. Die kriminelle Organisation änderte den Ermittlern zufolge zwischendurch auch ihre Strategie: Zunächst waren die Lenker mit Kleintransportern unterwegs und kamen zumeist über die ungarisch-burgenländische Grenze nach Österreich.
Danach änderten sie ihre Route, die fortan von Ungarn über die Slowakei und Tschechien nach Niederösterreich führte. Es wurden nicht mehr Kleintransporter, sondern Kombis und Vans verwendet, die durch den Einbau von Luftfedern und Folierung beziehungsweise Schwärzung der Scheiben für die Schleppungen umgebaut wurden. In Kombis wurden mindestens zehn Personen transportiert, in Vans bis zu siebzehn Personen.
Innenminister Karner: "Menschenleben sind ihnen nichts wert"
Länderübergreifende Ermittlungen seien seit 2021 im Laufen, teilte Braunschmidt mit. In der Folge kam es zu zwei dramatischen Zwischenfällen. Am 19. Oktober 2021 wurden bei einer Polizeikontrolle eines Kastenwagens bei Siegendorf (Bezirk Eisenstadt-Umgebung), in dem sich 29 Menschen befanden, im Inneren des Fahrzeugs zwei Personen erstickt aufgefunden. Der flüchtige Lenker sei in Lettland ausgeforscht und ausgeliefert worden. Gegen ihn wird wegen Mordes ermittelt.
Und am 17. Jänner 2022 feuerte ein Schlepper zwei Schüsse auf einen Bundesheerbediensteten ab, der das Auto anhalten wollte. Der Mann flüchtete, konnte aber identifiziert und ebenfalls der Organisation des Nicu Gavril O. zugeordnet werden. "Es geht um Profit und Geldgier. Menschenleben sind ihnen nichts wert", sagte Karner.
Sein erworbenes Vermögen hat der Kopf der Bande in Rumänien angelegt: Zahlreiche Häuser, Immobilien und Luxusautos wurden konfisziert. Es sind noch weitere Hausdurchsuchungen im Gange.