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Bleibt alles zu? Längerer Corona-Lockdown zeichnet sich ab

Was sich am Freitag schon abzeichnete wurde am Samstag noch klarer: Österreich kann nicht auf eine Lockerung des Corona-Lockdowns am 25. Jänner hoffen, sondern muss sich wohl sogar auf Verschärfungen einstellen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Herwig Ostermann (Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GesmbH), Oswald Wagner (AKH Wien) und Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) während eines Pressestatements im Bundeskanzleramt.

Das war auch den Statements der von der Regierung konsultierten Experten zu entnehmen. Sie drängten angesichts der ansteckenderen Virus-Variante B.1.1.7. auf Lockdown-Verlängerung und FFP2-Pflicht. Die Sozialpartner wollen "ein Datum" fürs Öffnen . Ein solches dürften sie am Sonntag erfahren, da will die Regierung ihre Entscheidung kundtun - nach einem seit Freitag laufenden Gesprächsmarathon mit Landeshauptleuten, Sozialpartnern und Fachleuten und der internen Abstimmung.

Daran, dass die in Großbritannien und Südafrika entdeckten Virus-Varianten auch für Österreich zum Problem werden, konnte man am Wochenende nicht mehr zweifeln. In der Steiermark wurde bereits in drei Verdachtsfällen offiziell die Infektion mit der britischen Mutation bestätigt. Alarmierend fiel auch eine Untersuchung der MedUni Wien aus: Erste Ergebnisse einer Stichprobe von 83 positiven PCR-Tests wiesen in 14 Fällen die mutierte Variante auf . Das waren 17 Prozent - und bestätigte die Befürchtung der Experten, dass neue Variante bereits recht weit fortgeschritten sein könnte.

Von der Regierung am Samstag ins Bundeskanzleramt gebetene Fachleute drängten denn auch in einem Pressestatement auf die Verlängerung des Lockdowns um zwei bis drei Wochen. Die 7-Tages-Inzidenz müsse auf unter 50 gesenkt werden, sagte MedUni-Wien-Vizerektor Oswald Wagner. Auch wird das verpflichtende Tragen von FFP2-Masken und verpflichtendes Homeoffice empfohlen.

Für ein Aufmachen ist die Neuinfektionszahl laut Wagner ohnehin noch "viel zu hoch". Die Sieben-Tages-Inzidenz hat sich zuletzt zwischen 130 und 150 eingependelt. Es müssten Maßnahmen getroffen werden, um "deutlich unter 50" zu kommen. Für Statistiker Erich Neuwirth wäre ein Wert von 25 eine "schöne Zielvorstellung".

Die B.1.1.7.-Variante ist laut Wagner "wesentlich infektiöser ist als der bisherige Wildtyp". "Es ist eine Situation, die man als Game Changer sehen kann", erklärte auch der Mikrobiologe Andreas Bergthaler. "Das Virus ist infektiöser, darauf müssen wir eingehen." Die bisherigen Maßnahmen seien grundsätzlich auch dafür geeignet. Da aber die Infektions-Dynamik größer sei, brauche man zusätzliche Mittel. "Wenn wir versuchen, die Zahlen runterzubringen, ist das unser Ticket, möglichst rasch zu einem Normalzustand zu kommen."

Es gelte, Zeit zu gewinnen, betonte Herwig Ostermann von der Gesundheit Österreich GmbH. Aktuell gehe man davon aus, dass bei der britischen Mutation die Infektiosität um den Faktor 0,5 erhöht ist. Das ergäbe beim derzeitigen Reproduktionsfaktor von rund 1 eine Verdoppelungszeit bei den Neuinfektionen von circa einer Woche. "Man sieht eine sehr hohe Dynamik." Schafft man es, die Reproduktionsrate auf 0,8 zu drücken, vergrößert sich das Zeitfenster, in dem Maßnahmen greifen können - insbesondere die Impfungen. "Die Reproduktionszahl definiert das Zeitfenster, das verbleibt, um die Bevölkerung mit Impfungen zu schützen."

Der Lockdown müsse jedenfalls verlängert werden, um dieses Ziel zu erreichen - und für alle Bereiche gelten, sagte Wagner. Auf eine Dauer wollte er sich nicht konkret festlegen, dies sei eine politische Entscheidung aber: "Ich denke dass wir mit zwei oder drei Wochen dieses Ziel erreichen müssen." Wichtig sei auch, dass es einen europaweiten Gleichklang von Maßnahmen gebe. Außerdem forderte er die Politik auf, Homeoffice zur Pflicht zu machen (dort wo es möglich ist) - um die Bewegungen der Menschen einzuschränken. Wichtig sei auch in Hinblick auf Schulen und Kindergärten, "all diese Eltern können und sollten dann Kinder auch zuhause betreuen".

Verpflichtend werden sollte nach Experten-Ansicht der Einsatz von FFP2-Masken - und zwar "in allen Bereichen, wo wir zusammentreffen", wie Neuwirth sagte. Und der Ein-Meter-Abstand müsse auf zwei Meter ausgedehnt werden, weiters seien regelmäßige Tests notwendig.

Seitens der intensiv in die Entscheidungsfindung einbezogenen Landeshauptleute forderte der Kärntner Peter Kaiser (SPÖ) am Samstag, darauf zu achten, dass Maßnahmen auch realistisch umsetzbar sind: "Es nützt nichts, wenn mathematische Überlegungen am Reißbrett gezeichnet werden, die in der Theorie funktionieren, die die Menschen aber nicht leben können." Homeoffice zur Pflicht zu machen, damit diese Eltern dann auch gleichzeitig ihre Kinder zu Hause betreuen sollen, gehe an der Lebensrealität von Eltern komplett vorbei.

Im Kanzleramt waren am Samstag auch Spitzenvertreter der Sozialpartner. Sie verlangten nach dem Gespräch eine "klare Ansage" und eine "Perspektive" für das Wiederaufsperren nach dem Lockdown. "Es braucht ein Datum", sagte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP). Aus seiner Sicht kann dies nicht der März sein, sondern ein "deutlich früherer Zeitpunkt". Er bekräftigte: "Wir können nicht - so wie in Deutschland angedacht - ich bleibe bei meiner Position, bis tief in den März hinein die Wirtschaft zumachen, das geht nicht, das produziert Massenarbeitslosigkeit." Und für Bereiche, die weiter zu bleiben, brauche es entsprechende Wirtschaftshilfen.

Auch ÖGB-Chef Wolfgang Katzian forderte Klarheit - und äußerte sich skeptisch zur Homeoffice-Pflicht. Manche täten so als ob Homeoffice "Hängematte" hieße. Aber die Menschen müssten weiter arbeiten, "wer glaubt, da kann man nebenbei Kinderbetreuung, Homeschooling machen, Homecooking, die leben am Mond, abseits jeder Realität." IV-Präsident Georg Knill signalisierte Bereitschaft, eine Lockdown-Verlängerung mitzutragen, sofern die produzierende Industrie weiter aufrecht bleiben kann.

Klarheit und Transparenz verlangte am Samstag auch die Opposition. Türkis-Grün habe offenbar "leider immer noch keinen langfristigen Plan", übte SPÖ-Gesundheitssprecher Philipp Kucher Kritik am "Zick-Zack-Kurs" der Regierung. Es brauche klare Kriterien und auch einen klaren Zeitraum - "auch wenn das keine guten Nachrichten bedeutet", ist NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker überzeugt - und forderte angesichts der Virus-Mutation "impfen, impfen, impfen". FPÖ-Chef Norbert Hofer hält es "trotz aller Bedenken" der Experten - deren Stellungnahmen er "nicht bezweifle" - weiterhin für den besseren Weg, den Lockdwon rasch zu beenden und ein Wirtschaften und Arbeiten unter klaren Auflagen zu ermöglichen.