Gesundheitsschutz geht vor: Neue EU-Regel könnte Tätowierungen weniger bunt machen, klagt die Branche.

Dutzende bunte Fläschchen, eine Tattoo-Maschine und viel Fingerspitzengefühl: Damit erfüllt der Tätowierer Sebastian Makowski Kunden ihre Tattoo-Wünsche. Allzu bunt dürften die aber nicht mehr ausfallen: Mit 4. Jänner verbietet die sogenannte REACH-Verordnung der EU viele Inhaltsstoffe, die in gängigen Tätowierfarben enthalten sind. Auf dem Markt verfügbare Farben entsprechend der Verordnung sind bislang nur Schwarz, Grau und Weiß.
Auf das nahende Aus für viele Farben schaut Makowski, der Chef der "Ältesten Tätowierstube in Deutschland" auf St. Pauli ist, mit Sorge: "Corona mit den Schließungen hat uns arg gebeutelt. Dann kommt sowas obendrauf." Er rechnet damit, dass deshalb ein Drittel seiner Kunden wegbleiben könnte.
Christoph Liebich, Dermatologe und Inhaber der Hautarztpraxis Dermazent in München, betont hingegen, dass viele Tattoo-Farben nicht nachweislich unbedenklich seien: "Viele sind nie in klinischen Studien überprüft worden. Tattoo-Farbstoffe haben immer ein Risiko, Allergien auszulösen, es besteht auch die Gefahr, dass Krebs entstehen kann." Das Verbot vieler enthaltener Substanzen findet er "vollkommen richtig". Schließlich gebe es für Substanzen zum Auftragen auf die Haut höchste Ansprüche - für Stoffe, die unter die Haut gingen, müssten diese erst recht gelten.
Ähnlicher Ansicht ist Walter Gössler vom Institut für Chemie der Uni Graz. Dieser hat im vergangenen Jahr 73 häufig verwendete Farben analysiert. "93 Prozent der Proben verstießen mindestens gegen ein gesetzlich vorgegebenes Kriterium. 50 Prozent hatten falsche Pigmente als Inhaltsstoffe angegeben." Spuren der oft unverträglichen Metalle Nickel und Chrom wurden gar in allen Proben gefunden.
Tattoos sind ein Massentrend: Einigen Umfragen nach trägt etwa jeder Fünfte eines. Wolfgang Bäumler, Professor für experimentelle Dermatologie und Tattoo-Experte am Uniklinikum Regensburg, sagt: "Ich gehe davon aus, dass durch die Verordnung unter Tätowierern ein Stück weit das Chaos ausbricht." Er betont, wie komplex die Anforderungen für Farben seien und wie schwierig ihre Neuentwicklung: Sie bestünden aus gut 100 Substanzen, etwa Pigmenten und Konservierungsstoffen. Die Verordnung ist für ihn strittig: Statt eines allgemeinen Verbotes brauche es eine viel kleinteiligere Risikobewertung.
Daniel Rust, Vorstandsmitglied des deutschen Bundesverbands Tattoo, schätzt, dass nach einer Durststrecke eine Palette neuer, regelkonformer bunter Farben auf den Markt kommt. Dramatischer werde es 2023 mit dem Verbot der Grün- und Blaupigmente. "Da gibt es wenig Alternativen. Aber wir haben noch ein bisschen Luft."
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