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Psychiater Reinhard Haller: "Eine Tendenz zum Hass hat jeder"

Psychiater Reinhard Haller über das "kälteste" aller Gefühle.

Psychiater Reinhard Haller.

Nach seinen Büchern über das Böse und die Rache widmet sich Psychiater Reinhard Haller in seinem neuen Buch dem Hass.

Herr Professor, eigentlich sollten Sie ja jetzt ein Buch über die Liebe schreiben. Warum wurde das Gegenteil daraus? Reinhard Haller: Ich glaube, die Liebe kann man am ehesten begreifen, wenn man ihr das Gegenteil gegenüberstellt - das ist der Hass. Liebe ist ein noch wichtigeres Thema. In meiner Arbeit als Sachbuchautor steht die Liebe ganz am Schluss.

Sie beschreiben den Hass als einzige Emotion, an der man nichts Gutes finden könne, und als die "primitivste aller Emotionen". Aber sind nicht Neid oder Rachelust ebenso negative Gefühle? Neid, wenn er konstruktiv ist, stachelt zur Leistung an. Der Neid ist nur schlecht, wenn er destruktiv ist. Rache kann süß sein und dem Ausgleich, der Gerechtigkeit dienen. Selbst der Narzissmus ist in gewissem Maß wichtig für das Selbstvertrauen. Aber beim Hass fällt mir nichts Positives ein. Hass ist ausschließlich auf Zerstörung ausgerichtet, er ist damit die kälteste und härteste und destruktivste Emotion.

Wie entsteht eigentlich Hass? Am Anfang steht immer der Liebesentzug. Der Liebesmangel ist eine menschliche Urangst. Und Angst lähmt den Menschen, führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Aus diesem Ohnmachtsgefühl heraus entsteht Hass.

Hängt Hass auch mit der Erziehung zusammen? Wenn die Erziehung lieblos ist, beginnt der Mensch zu hassen. Und bei einer hasserfüllten Erziehung wird der Trieb zur Grausamkeit gefördert.

Gibt es Menschen, die nie hassen? Oder ist Hass etwas zutiefst Menschliches? Das Gefühl kennt jeder. Die Tendenz dazu hat auch jeder. Aber es lebt nicht jeder aus. Nach den wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen leben nur etwa 30 Prozent den Hass irgendwann aus. Die anderen werden damit besser fertig. Deshalb ist die Persönlichkeitsentwicklung eine große Aufgabe der Erziehung, damit man mit Hass fertig wird.

Gibt es auch so etwas wie eine Hasspersönlichkeit? Also Menschen, die von Natur aus mehr zu Hass neigen? Ja. Das sind die, die wir als Psychopathen bezeichnen. Es gibt auch das Syndrom des bösartigen Narzissmus. In der Wirtschaftswelt spricht man von "Dunkler Tetrade" - das sind Menschen, die auf alles mit Hass reagieren.

War Hass immer da oder wird er mehr - durch den Hass im Netz, durch Cybermobbing etc.? Der Hass gehört zur Grundausstattung menschlicher Gefühle, es hat ihn immer gegeben. Aber er zeigt sich jetzt in einem neuen Gesicht, als Internethass, Frauenhass, Ausländerhass. Und er wird, so fürchte ich, so lange da sein, wie es Menschen gibt.

Sie schreiben, diese "zerstörerische Leidenschaft" lasse sich "ein Stück weit entschärfen". Gibt es also ein Rezept gegen Hassgefühle? Man kann dem Hass nur beikommen, wenn man ihn durchleuchtet. Wenn Menschen Bescheid wissen über den Hass, ist das auch Macht über den Hass. Und wir müssen die Empathie fördern. Dort, wo warme Emotionen dominieren, haben kalte keinen Platz.

Reinhard Haller im SN-Saal

Wie kommt es zu Hass? Und wie kann man ihn überwinden? Antworten gibt Psychiater Reinhard Haller im SN-Saal, wo er auch sein neues Buch präsentiert. Do., 23. Juni, 19 Uhr. Eintritt frei, Reservierung erbeten unter: veranstaltungen.sn.at