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"Wollen Migranten mit Potenzial"

Sie holen ihre Matura nach: Rund 50 aussichtsreiche Frauen und Männer aus verschiedensten Ländern studieren am Salzburger Abendgymnasium.

Im Salzburger Abendgymnasium studieren Migranten gemeinsam, um die Matura zu bekommen.
Im Salzburger Abendgymnasium studieren Migranten gemeinsam, um die Matura zu bekommen.

Die Runde an Wissbegierigen im "Brücken bauen"-Programm ist von den Nationalitäten her gesehen recht bunt gemischt. Junge Frauen und Männer aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak sitzen im Abendgymnasium Salzburg auf ihren Plätzen. Aus Somalia, Tadschikistan, Pakistan, der Ukraine, der Türkei, China und dem Sudan kommen weitere.
15 sind es pro Jahrgang. Sie gehören zu jenen, die besonders viel Aussicht auf Erfolg haben, wenn es um das Nachholen ihrer Matura geht.

"Wir wollen Migrantinnen und Migranten mit Potenzial. Sie sind in ihrem Heimatland vielleicht schon auf eine höhere Schule gegangen oder haben begonnen zu studieren. Nur sind ihre Zeugnisse bei uns
leider oft nicht anerkannt", sagt Abendgymnasium-Salzburg-Direktor Gerhard Pusch. Die Bildungsinstitution besteht seit 1957. Sie sorgt für Durchlässigkeit im Bildungssystem, weil sie die Chance eröffnet, einen wichtigen und gefragten Abschluss zu erwerben. Pusch erklärt: "Was umfassende höhere Allgemeinbildung anbelangt, da sind wir die Experten. Ein breites persönliches Grundwissen ist die beste Grundlage für viele Lebens- und Studienentscheidungen."

Wer im Abendgymnasium via "Brücken bauen" den Weg zur österreichischen Matura beschreitet, sollte bereits durch gute Deutschkenntnisse aufgefallen sein. Etwa, indem er oder sie bereits A1- oder A2-Niveau haben. Weitere Voraussetzungen sind eine Aufenthaltsbewilligung oder ein positiver Asylbescheid sowie ein Mindestalter von 17 Jahren.

Der erste Schritt in der Abendschule: Der Besuch der Sprachförderungsgruppe. Diese beschreibt Pusch als "Express-Deutschkurs" mit zwei Lehrerinnen seiner Schule, die an der Universität extra die Ausbildung für "Deutsch als Fremdsprache" gemacht haben. Elf Wochenstunden werden die Frauen und Männer unterrichtet. Das sei "irre viel", so der Direktor. In ein bis zwei Semestern seien die Migranten dann jedoch über das B1-Niveau hinaus und könnten dem Unterricht in allen Fächern der Abendschule folgen. Etwa in Englisch, Latein oder Französisch, Geografie und Wirtschaftskunde, Geschichte und politische Bildung, Biologie und Umweltkunde, Chemie, Physik, Bildnerischer Erziehung, Musikerziehung, Informatik oder Ökonomie.

Pusch sagt, es sei schön zu sehen, dass gerade in diesen Klassen die Zahl der Abbrecher gering sei; von 15 Beginnern würden zwölf bei der Stange bleiben und das Programm durchziehen. Der Vorteil für die Studierenden sei, dass sie Chancen in Österreich nutzen könnten, die sie auch schon im Heimatland gehabt hätten. "Sie in den Arbeitsmarkt hier zu integrieren ist gut und schön, aber eigentlich sind etliche studierfähig und können bei uns ihr Ticket zur Universität lösen", erklärt Pusch. Seit 30 Jahren arbeitet er am Abendgymnasium und sammelt Erfahrungen. Seine Erkenntnis: "Aus meiner Sicht kommen zu uns Top-Level-Personen. Menschen, die später zum Beispiel als Ärzte eine Rolle in unserer Gesellschaft spielen könnten und als Hilfsköche völlig falsch eingesetzt wären." Viele erfolgreiche Karrieren hätten ihren Anfang an dieser Schule genommen, betont er. Zur Klientel des Hauses gehören neben den wissbegierigen Migranten etwa auch Menschen, die bereits in ihrem Gebiet erfolgreich sind und die Vorbereitung auf die Matura aus zeitlichen Gründen nur am Abend erledigen können. "Wir versuchen, den Bedürfnissen jedes Einzelnen entgegenzukommen", sagt Pusch. Neben den Fächern Mathematik, Englisch und Informatik gibt es in den Klassen weiter Deutschstunden, wie der Autor des Blogs bildungsbuch.at, Gerhard Ennsberger-Kranabiter, beschreibt. Dort werde vor allem daran gearbeitet, die Sprachfähigkeit in Deutsch zu fördern, zu vertiefen und zu erweitern. Mit hoher Motivation, mit klarem Ziel, aber ohne den Zeitdruck, der die Studierenden überfordern und langwierige Lernprozesse ignorieren würde. Gearbeitet wird mit einem Modul-System. Bereits erbrachte Leistungen können angerechnet werden. Durch Abendunterricht und Fernstudium sei das Programm in den Alltag integrierbar - auch, wenn es besonderen Einsatz verlange.

Direktor Gerhard Pusch: "Die Migranten haben eine Dreifachbelastung, durch Job, Ausbildung und ihre Erlebnisse, die sie verarbeiten müssen." Umso stolzer sei er, wenn die Frauen und Männer nach ihren Semestern am Abendgymnasium mit der Matura in der Hand über die Ziellinie gingen. "Wir haben erkannt, dass es trotz der vielen Probleme auf der Welt Talente gibt, die gefördert werden müssen", sagt er.

Welchen Herausforderungen er sich mit "Brücken bauen" stellen musste? "Es gab vor dem Projektstart auch mahnende und kritische Stimmen, weil unsere Studierenden aus so vielen unterschiedlichen Regionen kommen. Bisher gab es dadurch aber keine Konflikte. Zwei ausgebildete Kolleginnen sehen, dass alles klappt", erzählt der Schulleiter. Bei der Weihnachtsfeier am Abendgymnasium haben Teilnehmer aus fernen Ländern ihre Sitten vorgestellt. Rund 50 Lernwillige mit Migrationshintergrund seien in Salzburg in Betreuung. Für Salzburg sei das einzigartig; ähnliche Systeme gebe es etwa in Graz oder Innsbruck.

Am 20. Februar startet eine neue Gruppe ihren Weg zur Matura in der Mozartstadt. Noch sind Plätze frei. Die Kosten sind vernachlässigbar, meint der Direktor. Immerhin sei seine Schule als öffentliche kostenfrei. Die Sprachförderungsgruppe werde vom Unterrichtsministerium finanziert; beim Schulbesuch danach würden auch keine Kosten entstehen. "Auf unserer Homepage befindet sich ein Anmeldeformular, damit erhält jeder eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch. Das ist uns sehr wichtig, da ja große strategische Entscheidungen über das persönliche Zeitbudget getroffen werden", sagt der Leiter.
Nähere Informationen gibt es unter
abendgymnasium.salzburg.at

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