"Die Mindestsicherung in Wien ist unter Rot-Grün zu etwas geworden, was sie nie hätte sein dürfen, nämlich ein de facto bedingungsloses Grundeinkommen", sagte Blümel. Es würden Steuergelder an Menschen vergeben, die "eigentlich arbeiten können, aber vielleicht nur nicht wollen", meinte er.
Auch Wölbitsch warf der Wiener Stadtregierung "Intransparenz" und "Realitätsverweigerung" bei der Vergabe der Mindestsicherung vor. "Unser Verdacht ist, dass in Wien Sozialleistungen völlig unkontrolliert vergeben werden", sagte Wölbitsch. Deshalb sei es notwendig, dass die Pläne der Bundesregierung rasch umgesetzt werden.
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht unter anderem Kürzungen für Menschen vor, die nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Den Vorwurf, dass es zu wenig Deutschkurse gebe, wies Blümel zurück. "Das ist eine unwahre Panikmache der Opposition", sagte er.
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte sich in Bezug auf die neue Regelung abwartend gezeigt und die Regierung zu Verhandlungen aufgefordert. Sein Grüner Koalitionspartner übte dagegen scharfe Kritik am Regierungsvorschlag und kündigte an, diesen prüfen zu lassen. "Prüfen kann jeder alles, aber Gesetze sind auch einzuhalten", reagierte Blümel darauf. Er gehe davon aus, dass Wien die Vorlage des Bundes umsetzen werde: "Die Stadtregierung wird ja wohl keinen Rechtsbruch begehen."
Die Wiener SPÖ reagierte verärgert auf die Kritik der ÖVP an der Vergabe der Mindestsicherung in der Bundeshauptstadt. "Mit ihrem neuen Sozialhilfegesetz werden sie in Wien mehr als 40.000 Kinder in bittere Armut stürzen und verkaufen das tatsächlich auch als noch als eine gerechtere Lösung", empörte sich Sozialsprecherin Gabriele Mörk.
"Die ÖVP sollte sich schämen, für das, was sie hier anrichtet", meinte Mörk in einer Aussendung. "Völlig falsch" sei auch, dass die Mindestsicherung in Wien ein bedingungsloses Grundeinkommen sei. "Die Zahlen in der Mindestsicherung in Wien sinken seit einem Jahr. Der Grund dafür ist nicht, weil sich die Menschen in Luft auflösen, sondern weil sie eine Beschäftigung annehmen und daher keine Mindestsicherung mehr benötigen", so Mörk.
Kritik am Gesetzesvorschlag der Bundesregierung übten am Freitag auch die Wiener NEOS. "Wir sehen hier keinerlei Reform, die auch nur ansatzweise eine faire chancenorientierte Sozial- und Bildungspolitik zu leisten vermag", befand Sozialsprecherin Bettina Emmerling laut einer Aussendung: "Es gibt nicht mehr Gerechtigkeit, wenn beispielsweise Kinderzuschläge gesenkt werden."
Die Regierung hat am Freitag ihren Gesetzesentwurf für die Reform der Mindestsicherung zur Begutachtung ausgeschickt. Daraus geht u.a. hervor, dass es sich bei dem für Alleinverdiener und für Behinderte vorgesehenen Bonus um eine Kann-Bestimmung handelt. Außerdem kann auch nicht nur auf das Vermögen des Beziehers der Mindestsicherung, sondern auch auf das Einkommen vom im gleichen Haushalt lebenden Angehörigen zugegriffen werden.
Wörtlich heißt es in dem Gesetzesentwurf zum Behinderten- und Alleinverdiener-Bonus: Zusätzliche anrechnungsfreie Beträge, die alleinerziehenden Personen bzw. Personen mit Behinderung "zur weiteren Unterstützung des Lebensunterhaltes gewährt werden können". Für Behinderte kann es einen Zuschlag von 18 Prozent geben, für Alleinerziehende gibt es für das erste Kind zwölf Prozent, für das zweite neun Prozent, für das dritte sechs Prozent und für jedes weitere drei Prozent. Auch der Wohnzuschuss von bis zu 30 Prozent, den die Länder gewähren können, ist eine Kann-Bestimmung im Ermessen der Länder.
Gemäß dem Gesetzesentwurf soll nicht nur auf das Vermögen des Mindestsicherungsbeziehers zugegriffen werden, sondern bei der Bemessung der Leistung sollen auch öffentliche Mittel und das Einkommen von Angehörigen bzw. Lebensgefährten, die im gleichen Haushalt leben, berücksichtigt werden.
Die Mindestsicherungsstatistik wird auf völlig neue Beine gestellt. Die Datenübermittlung durch die Länder wird zukünftig nicht mehr in Form aggregierter Daten, sondern auf Einzeldatenbasis erfolgen. Um eine höhere Datentransparenz herzustellen, sieht das neue Grundsatzgesetz eine verpflichtende Erfassung und Übermittlung einer Reihe von Daten zu den Sozialhilfebeziehern durch die Länder vor. Darüber hinaus soll die jährliche Sozialhilfestatistik aussagekräftigere Ergebnisse liefern und früher als bisher vorliegen. Die von den Ländern zu übermittelnden Daten werden von einem seitens des Sozialministeriums beauftragten Dienstleister in einer umfassenden Gesamtstatistik ausgewertet.
Die Einsparungen, die sich durch die Reform der Mindestsicherung für die Länder ergeben, halten sich unterdessen im überschaubaren Rahmen. Wie dem zur Begutachtung ausgeschickten Gesetzesentwurf zu entnehmen ist, werden für 2019 242.000 Euro erwartet, 2020 soll dieser Betrag auf 6,7 Millionen steigen, 2021 auf 11,8 Millionen und im Jahr 2022 sollen die Länder dann Einsparungen von 14,6 Millionen Euro haben.
Die Regierung relativiert diese Zahlen allerdings selbst. "Der vorliegende Gesetzesentwurf birgt ein gewisses Einsparungspotenzial für die Länder, das jedoch lediglich in einer Spannbreite zu sehen ist. Dies ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass das gegenständliche Gesetzesvorhaben an einigen Stellen Kann-Bestimmungen ausweist und andererseits den normierten Höchstbeträgen, die auch unterschritten werden können. Um die finanziellen Auswirkungen daher abschließend beurteilen zu können, müssen erst die Ausführungsgesetze der Länder abgewartet werden, die allerdings erst bis zum Herbst 2019 vorliegen werden", heißt es in dem Gesetzesentwurf.
Abhängig vom Konjunkturverlauf sei jedoch "eine Stabilisierung der Aufwendungen bzw. eine Dämpfung des Kostenwachstums im Bereich der Sozialhilfe zu erwarten", schreibt die Regierung.
Gemessen an den Gesamtausgaben sind die angegebenen Beträge allerdings gering. Laut Statistik Austria betrugen die gesamten Sozialausgaben 2017 108,8 Mrd. Euro, 29,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Mindestsicherung, die (gemeinsam mit Wohn- und Flüchtlingshilfen) im Sammelposten "Wohnen/soziale Ausgrenzung" aufscheint, machte davon nur einen Anteil von 2,5 Prozent aus.