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Wahlanfechtung: "Manipulationen Tür und Tor geöffnet"

Die öffentliche Sitzung des Verfassungsgerichtshofs zur Anfechtung der Bundespräsidentenwahl durch die FPÖ hat auch am zweiten Tag Unregelmäßigkeiten in den Stimmbezirken zu Tage gefördert. In Wien-Umgebung wurde offenbar sogar Druck ausgeübt, die Briefwahlstimmen rasch auszuzählen. Innenminister Wolfgang Sobtoka (ÖVP) zeigte sich unterdessen "maßlos enttäuscht" über das Ausmaß an "Schlampereien".

Das Bild des ersten Tages - ein lockerer Umgang mit Vorschriften - setzte sich also bei der Zeugeneinvernahme im VfGH fort. So habe man im ersten Wahldurchgang in Wien-Umgebung für rund 6.500 Briefwahlstimmen von 9.00 Uhr bis 18.30 Uhr gebraucht. Der für die Auszählung verantwortliche Bezirkshauptmann sei danach gefragt worden, warum das solange gedauert habe. Anscheinend war Wien-Umgebung in ganz Niederösterreich am langsamsten, schilderte der stellvertretende Bezirkswahlleiter, der dann die Auszählung der Stichwahl leitete.

Es habe "den Wunsch seitens der Landeswahlbehörde" gegeben, dieses Mal schneller zu sein. Allerdings seien im zweiten Wahlgang 11.000 Stimmen auszuzählen gewesen. Man habe daher schon am Sonntag "Vorarbeiten" geleistet, etwa Listen erstellt und Wahlkarten ausgewertet, so der Zeuge. Die Wahlbeisitzer hätten von diesen Arbeiten am Wahlsonntag nichts gewusst und daher auch keine Möglichkeit gehabt, daran teilzunehmen.

FPÖ-Beisitzerin: "Ich war zu gutgläubig"

Die FPÖ-Beisitzerin, die die Vorwürfe in Wien-Umgebung in einer eidesstattlichen Erklärung erhoben hatte, sagte aus, nicht den Eindruck gehabt zu haben, dass es einen Missbrauch gab. Aber: Durch das Vorsortieren und Öffnen der Wahlkartenkuverts sei "Manipulationen Tür und Tor geöffnet" worden. Das habe sie damals nicht so realisiert, "ich war zu gutgläubig", begründete sie, warum sie das Sitzungsprotokoll ungelesen und "im Vertrauen" unterschrieben hatte, obwohl die Zeitangaben nicht stimmten und wegen einer Differenz von drei Stimmen auch drei leere Kuverts einfach weggeworfen wurden.

Der Grüne Beisitzer Wolfgang Essl erklärte nach seiner Zeugenaussage in Interviews, Verständnis für die Anfechtung der FPÖ zu haben. Es sei demokratiepolitisch wichtig, Unregelmäßigkeiten aufzuklären. Es sei auch eine Frage des Prozederes, das derzeitige System sei nicht optimal. Der enorme Andrang auf Wahlkarten in einem großen Bezirk wie Wien-Umgebung habe die Bezirkshauptmannschaft herausgefordert. Er habe dem Wahlleiter vertraut, dass alles rechtskonform war.

Im Gegensatz zum ersten Sitzungstag am Verfassungsgericht, an dem es darum ging, dass in einigen Bezirken die Beisitzer der Auszählung der Briefwahlstimmen gänzlich fernblieben oder nur für die anschließende Sitzung geladen wurden, waren in Wien-Umgebung und in Landeck bei der Auszählung am Montag Wahlbeisitzer anwesend.

Die Vorwürfe des freiheitlichen Wahlbeisitzers im Tiroler Stimmbezirk Landeck haben sich hingegen nicht bestätigt. Der Blaue hatte im Nachhinein erklärt, dass die Wahlkarten der Briefwähler zu früh geöffnet worden seien. Die Beisitzer der anderen Parteien sagten aus, dass es keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Formalfehler gegeben habe.

"Ich war um 20 vor 9 dort, da hat's geheißen: 'Du bist zu früh, wir dürfen vor 9 nicht anfangen.' Dann bin ich halt frühstücken gegangen", sagte die rote Beisitzerin. "Wir haben am Sonntag noch diskutiert, warum der Gesetzgeber erst am Montag ab neun Uhr das Auszählen der Wahlkarten erlaubt", sagte der ÖVP-Wahlzeuge. Man habe sich das nicht recht erklären können, es sei aber entschieden worden, dass man sich daran halte.

Unklar war auch, ob der FPÖ-Beisitzer überhaupt um 9.00 Uhr bereits anwesend war. Die Zeugen gaben übereinstimmend an, dass er erst um 11.30 Uhr erschienen sei. Der Freiheitliche selbst war nicht vor Gericht erschienen. Laut einem Sprecher des VfGH konnte die Ladung wegen Urlaubs nicht zugestellt werden. Der VfGH werde entscheiden, ob er neu geladen wird.

Ablauf der Briefwahlauszählung
Überraschende Zeugeneinvernahme

Die Richter fragten den Bezirkshauptmann auch nach dem Bedarf von Vorarbeiten in Hermagor, einem Stimmbezirk mit lediglich 1.700 Briefwahlstimmen, deren Auszählung nur knapp drei Stunden dauerte. In Kärnten habe es vor einigen Jahren, vor allem bei FPÖ und BZÖ, Probleme gegeben, Beisitzer zu finden, die auch tatsächlich erscheinen, erklärte der Behördenleiter. Bei der letzten Nationalratswahl hätten sich die Beisitzer zudem beklagt, dass ihre berufliche Tätigkeit unnötigerweise eingeschränkt würde, "weil wir ja nichts anderes tun als aufschlitzen". Aus dieser Situation heraus habe man den Beschluss gefasst.

Auch VfGH-Präsident Gerhart Holzinger fragte den Bezirkshauptmann: "Warum machen Sie das so?". Dieser verwies erneut auf die Beisitzer-Situation in Kärnten und dass er die Arbeit am Montag für die Wahlbeisitzer verkürzen wollte. Die Frage, die Auszählung dem Gesetz entsprechend vorzunehmen, habe sich wegen des Beschlusses und im Glauben an die Rechtmäßigkeit nicht gestellt. Gegen das Wort "schlampig" wehrte es sich entschieden.

Holzinger richtete sich während der Zeugeneinvernahme dann überraschend auch an Robert Stein, den obersten Wahlleiter des Innenministeriums, ob er diese Rechtsansicht denn teile. Stein: "Ich teile das in keinster Weise. Es gibt hier mehrere Fälle von sogenannten 'Schlampereien', aber andere Bezirke haben gezeigt, dass man eine vollkommen gesetzeskonforme Auszählung vollziehen kann." Auf Holzingers Anmerkung, dass die Bundeswahlbehörde ja die Spitze des Wahlsystems mit den ihr untergeordneten Landes- und Bezirkswahlbehörden bilde, sagte Stein: "Wir haben seit 26 Jahren immer nur Akten gesehen, darin war immer alles korrekt abgebildet." Tatsächlich zeigt der Wahlakt ein anderes Bild, wie die VfGH-Verhandlung offenbarte. In den Protokollen zu den Sitzungen haben die Beisitzer stets ein gesetzeskonformes Vorgehen bestätigt, auch wenn dies nicht der Realität entsprochen hat.

Der FPÖ-Beisitzer aus Hermagor hatte zuvor Einblick gegeben, wie es zur Anfechtung der Bundespräsidentenwahl durch die FPÖ gekommen ist. Die Landespartei habe ihn angerufen und das Datenblatt für die Anfechtung ausgefüllt, erklärte der Zeuge. Er legte aber Wert auf die Feststellung, dass es aus seiner Sicht zu keinen Unregelmäßigkeiten gekommen ist. "Aus Vertrauen in die Beamten" habe er nicht an den Vorarbeiten am Wahlabend teilgenommen, aber das Protokoll trotzdem unterschrieben.

Sobotka spricht sich für Reform der Briefwahl aus

Innenminister Sobtoka sprach sich angesichts der "Schlampereien" für eine Reform der Briefwahl aus, die eine für Wahlkommissionen und -behörden "praktikable" Lösung bringen müsse. Er bezeichnete es vor dem Ministerrat als "mehr als beschämend, dass Juristen sich Blanko-Unterschriften holen". Und die Aussagen der Zeugen am Verfassungsgerichtshof hätten ergeben, dass oft ein "schlampiger Weg" bei der Auszählung beschritten worden sei. Das sei "unhaltbar". Wenn das Gesetz schwer oder gar nicht zu exekutieren sei, wäre es "der korrekte Weg gewesen, schon früher aufzuzeigen, dass das Gesetz nicht zu vollziehen ist", sieht er auch eine Bringschuld bei den Behörden.

Doch für die Gesetzgebung sei das Parlament zuständig, und bei der ersten Gesprächsrunde über allfällige Reformen habe er die Parteienvertreter bereits ersucht, sich über "praktikable" Lösungen Gedanken zu machen. Das Ministerium könne nur "schauen, dass das Gesetz eingehalten wird - und das haben wir auch getan", nicht zuletzt mit entsprechenden Anzeigen, hielt Sobotka fest.

Auf Basis der bisherigen Zeugenbefragungen hat der VfGH unterdessen vier zusätzliche Zeugen geladen. Die 14 Verfassungsrichter wollen unter anderem hören, was der Villacher Bürgermeister Günther Albel (SPÖ) dazu sagt, dass in seinem Bezirk die Auszählung der Briefwahlstimmen am Montag schon um 9.00 Uhr abgeschlossen war. Nachträglich geladen wurde vom VfGH auch der - aufgrund eines Krankheitsfalls erst am Wahlsonntag bestellte - stellvertretende Leiter der Bezirkswahlbehörde Südoststeiermark, der in keinem Protokoll aufscheint, obwohl er die Auszählung geleitet hatte. Auch ein Mitarbeiter von ihm sowie ein weiterer Zeuge aus dem Stimmbezirk Villach-Land wurden geladen.

Die Richter des VfGH prüfen laufend, ob sich aus den bisherigen Zeugenaussagen die Notwendigkeit ergibt, weitere Zeugen einzuvernehmen, wie VfGH-Sprecher Christian Neuwirth gegenüber der APA erläuterte. Die Ladung erfolge vom Gericht, geschehe aber in Absprache mit den Parteienvertretern, so der Sprecher. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger sei laufend mit den Anwälten von Wahlverlierer Norbert Hofer (FPÖ) und Wahlsieger Alexander Van der Bellen (Grüne), Dieter Böhmdorfer und Maria Windhager, in Kontakt.

VfGH prüft Ablauf der Briefwahl
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