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Coronavirus: Deutlich niedrigere Dunkelziffer in zweiter Studie - "weit entfernt von einer Herdenimmunität"

Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) präsentierte die Ergebnisse der zweiten Dunkelzifferstudie: Von einer Herdenimmunität ist Österreich weit entfernt. Virologin Elisabeth Puchhammer dämpfte Hoffnungen, dass das Virus einfach wieder verschwinden könnte. "Aber wir werden über die Jahre einen Schutz aufbauen", sagt sie.

Virologin Elisabeth Puchhammer und Minister Heinz Faßmann.
Virologin Elisabeth Puchhammer und Minister Heinz Faßmann.
Virologin Elisabeth Puchhammer.
Virologin Elisabeth Puchhammer.
Puchhammer, Faßmann, Paskvan.
Puchhammer, Faßmann, Paskvan.
Studienprojektleiterin Matea Paskvan.
Studienprojektleiterin Matea Paskvan.

Höchstens 11.000 Covid-19-Infizierte zusätzlich zu den Erkrankten in Spitälern gab es Ende April in Österreich. Dieses Ergebnis der zweiten repräsentativen Stichprobenuntersuchung stellte Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) am Montag vor. Die erste derartige Studie hatte für Anfang April noch eine maximale Dunkelziffer von rund 60.000 Infizierten in der Bevölkerung über 16 Jahren ausgewiesen.

Nach der ersten repräsentativen Stichprobenuntersuchung auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch das Sozialforschungsinstitut SORA von Anfang April lief die zweite Studie zur Abschätzung der Dunkelziffer der Infizierten zwischen 21. und 24. April. Statistik Austria hat dazu eine repräsentative Stichprobe von 2800 Personen ab 16 Jahren ausgewählt und die Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) sowie der Medizinischen Universität Wien durchgeführt. Die nunmehrige Schätzung für Gesamt-Österreich beruht auf den PCR-Testergebnissen von 1432 Personen, die letztlich mitmachten.

Antikörpertests in "Hotspot"-Gemeinden

Der ersten Studie zufolge waren Anfang April in Österreich zwischen 10.200 und 67.400 Personen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert. Der wahrscheinlichste Wert lag bei 28.500 Infizierten, was 0,33 Prozent der Bevölkerung entspricht. Nun liegt der höchste Wert bei 10.823 Infizierten, was lediglich rund 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung ab 16 Jahren ausmacht. Waren in der ersten Studie noch Kinder mit dabei, wurden in der zweiten nur über 16-Jährige getestet. Rechnet man die Werte der ersten Studie auf in Privathaushalten wohnhafte Personen ab 16 Jahren um, lag der Höchstwert in der ersten Studie bei 60.287 Infizierten. "Wir sehen einen deutlichen Rückgang und das beruhigt", sagte Faßmann zu den Ergebnissen. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hätten gewirkt, fügte er hinzu.

Virologin: "Stabile Herdenimmunität ist kein Thema mehr"

Zusätzlich zur zweiten repräsentativen Stichprobenuntersuchung hat das Wissenschaftsministerium auch eine Studie für Antikörpertests in Auftrag gegeben, um 540 Personen aus Risikogebieten mit bisher hohem Anteil an positiven Corona-Tests zu untersuchen. Die Frage war, wie hoch der Anteil jener ist, die bereits eine Infektion hinter sich haben. In den 27 ausgewählten Gemeinden (je drei aus 9 Bezirken, die besonders stark betroffen waren) hatten im Schnitt 4,71 Prozent Antikörper. Das heißt, dass rund 1900 Personen der insgesamt 40.000 Einwohner in diesen Risikogemeinden in den vergangenen Wochen eine Coronavirus-Infektion durchgemacht haben (von 269 Personen wurden Proben entnommen). Ischgl war übrigens nicht dabei, es stand zum Zeitpunkt der Studie noch unter Quarantäne, eine Feldstudie war daher nicht möglich.

Von einer Herdenimmunität sei Österreich jedenfalls auf Grund der niedrigen Zahlen weit entfernt, sagte Elisabeth Puchhammer, die Leiterin des Instituts für Virologie von der MedUni Wien. Dazu müssten rund 60 Prozent aller in der Bevölkerung immun sein, erkärte sie. Und selbst dort, wo man laut jüngsten Studien von einer weit höheren Immunität ausgehe - in New York etwa von 19 Prozent - sei man meilenweit davon entfernt. "Tatsache ist: Man weiß gar nicht, ob es eine stabile Herdenimmunität überhaupt geben kann, weil unklar ist, wie lange die Immunität anhält", sagte Puchhammer. "Eine stabile Herdenimmunität ist daher kein Thema mehr - auch nicht in Ländern, die zuerst darauf gesetzt haben", betonte sie.

Der Ansatz Österreichs - so wenig Infektionen wie möglich - sei "ein guter Weg", der beizubehalten sei. "Mit all diesen Kontrollmaßnahmen ist es auch leichter, eine etwaige zweite Welle in den Griff zu bekommen und sich früh bewusst zu werden, wo sind die Infektionsherde", sagte sie. Bei wenigen Infektionen sei es auch besser möglich, jeden einzelnen Fall rückzuverfolgen.

"Wir müssen aufmerksam bleiben", sagte auch Minister Faßmann. Er rechnet damit, dass eine zweite Infektionswelle kommt. Wesentlich sei es dann, lokale Strategien zu haben mit lokalen Quarantäne-Maßnahmen. "Die zweite Welle wird, wenn sie kommt, gebremst sein", so ist Faßmann überzeugt. Weil man sie dank vieler Analysen besser kommen sehe, aber vor allem, weil wir schon wüssten, wie mit dem Virus umgehen: Distanz, Handhygiene, Mundschutz. Er habe das auch am Montag beobachten können, als die Maturanten in die Schulen zurückkehrten: Sie seien sich nicht um den Hals gefallen, sondern hätten aus den vergangenen Wochen gelernt.

Der Virus wird nicht verschwinden

Angesprochen darauf, ob die aktuelle Pandemie verschwinden könne wie 2003 das Sars 1-Virus, meinte Puchhammer, das dem nicht so sein werde. "SARS 1 war eine Infektion der tiefen Atemwege", Sars 2 übertrage sich von Rachen zu Rachen. Das Covid-19-Virus wird sich ihrer Meinung nach "einsortieren in die Viren, die wir regelmäßig sehen, es wird nicht verschwinden. Aber wir werden über die Jahre einen Schutz aufbauen. Das Virus wird in zehn, zwanzig Jahren eines der Viren sein, die wir im Winter haben werden, oder auch im Sommer", sagte Puchhammer.

Zur Debatte über die Reisefreiheit und ob die Grenzen bald wieder aufgehen sollten, sagte sie: "Wenn Sie mich fragen, ich sehe es als schwierig." Auch die deutschen Kollegen seien dieser Meinung, weil es Schwierigkeiten gebe mit dem Contact Tracing, also dem Nachverfolgen der Infektionsketten.

In drei Wochen wissen wir mehr

Die niedrigen Zahlen in Österreich müssten jedenfalls nicht zwingend steigen durch das Aufsperren der Geschäfte und die Wiederaufnahme des sozialen Lebens. "Die Zahlen sind so niedrig, dass es möglich ist, dass sie auch nicht so steigen."

Mehr wissen werde man erst in drei Wochen. "Da können wir sehen, wo wir stehen. Jetzt ist es dafür noch zu früh", sagt Puchhammer.
Noch im Mai soll übrigens eine dritte Dunkelziffer-Studie starten, wie Studienleiterin Matea Paskvan, Studienprojektleiterin von der Statistik Austria, betonte. Diesmal sollen dafür 3500 Personen angeschrieben werden.

KOMMENTARE (2)

Peter Lüdin

Das Corona-Virus und seine Gefährlichkeit ist jedem bewusst. Gerade deshalb sollten jetzt die Beschränkungen langsam beendet werden. Das ist keine Verharmlosung des Corona-Virus. Es ist der Aufruf zum bewussten Umgang mit einem Risiko, dessen sich alle nach Monaten intensiver Auseinandersetzung gewahr sein sollten. Das Leben ist nicht ohne Gefahr und Risiko zu haben.
Antworten

Kurt Fuchs

Genau. Jeder Tag ist für alle Menschen ein Risiko. Es gibt Studien, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, mit dem Flugzeug abzustürzen, mit dem eigenen PKW einen tödlichen Unfall zu haben etc. Und in diese Liste wird sich auch die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, einordnen müssen. Wenn ich ins Flugzeug einsteige, sollte ich mir auch dessen bewusst sein. Aber deswegen fliegen die Menschen trotzdem. Und das weitaus höhere Risiko, im eigenen PKW tödlich zu verunglücken, nehmen ja die Menschen auch in Kauf. Man muss halt im Individualverkehr auch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen einhalten. Und das müssen wir alle lernen, mit dem Covid-19 Virus auch so umzugehen.