Karmasin, die eine zentrale Rolle in der ÖVP-Inseraten-Affäre gespielt haben soll, war ab 14.00 Uhr im Grauen Haus vom zuständigen Haft- und Rechtsschutzrichter vernommen worden. Am Ende musste die 55-Jährige zur Kenntnis nehmen, dass sie vorerst eine Zelle in der Justizanstalt (JA) Wien-Josefstadt zu beziehen hat. Die U-Haft gilt zunächst für 14 Tage, dann hat eine erste Haftprüfung stattzufinden.
Die WKStA sieht Karmasin in der ÖVP-Inseratenaffäre um mittels Steuergeld frisierte Umfragen als "Urheberin und maßgebliche Ideengeberin [...] hinsichtlich der 'Entwicklung' des 'Beinschab-Österreich-Tools'", wie in der Festnahmeanordnung ausgeführt wird. Sie soll bei ihrer Ex-Mitarbeiterin Sabine Beinschab insgesamt 13 Umfragen bestellt haben, die in den Druckwerken der Medien-Gruppe "Österreich" publiziert wurden und die ausschließlich Kurz bzw. der ÖVP gedient haben sollen. Die Umfragen wurden über Scheinrechnungen vom Finanzministerium finanziert, und sollten - so zumindest der Verdacht der WKStA - Sebastian Kurz "pushen", der 2016 Außenminister war und weiter nach oben wollte. Ende 2017 war es so weit, nach dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Obmann und Vizekanzler und anschließenden Neuwahlen wurde Sebastian Kurz Bundeskanzler in einer türkis-blauen Koalition, die bis zur Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 hielt, das den freiheitlichen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zu Fall brachte und die Koalition platzen ließ.
Für die Studien - der von der WKStA vermutete, dem Steuerzahlen entstandene Schaden liegt über der 300.000 Euro-Grenze - soll Karmasin jeweils eine Provision von 20 Prozent kassiert haben. Außerdem sollen Inserate in der Tageszeitung "Österreich" geschaltet und vom Finanzministerium bezahlt worden sein, von denen man sich im Gegenzug eine für Sebastian Kurz positive Berichterstattung erhoffte.
Zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr führt die WKStA in ihrer Festnahmeanordnung aus, Karmasins strafbare Handlungen hätten sich "nach der dringenden Verdachtslage über mehr als fünf Jahre" erstreckt. Sie sei "federführend" daran beteiligt gewesen und hätte "mit unterschiedlichen kreativen Umgehungsvereinbarungen und Verschleierungsgeschäften zum eigenen Vorteil und zum Nachteil vor allem der Republik Österreich Straftaten mit einem demokratiepolitisch immensen und auch vermögensrechtlich erheblichen Unrechtswert" begangen. Sie sei weiterhin als Meinungsforscherin tätig, habe "wiederholt neue Ideen für (strafrechtlich relevante) Geschäftsmodelle" entwickelt und selbst während des Strafverfahrens gegen Thomas Schmid in Kenntnis des Umstands, dass dessen Chats [...] ausgewertet wurden, vor weiteren einschlägigen Tathandlungen nicht zurückgeschreckt. Die WKStA gibt in der Festnahmeanordnung außerdem zu bedenken, Karmasin sei aus ihrer früheren Tätigkeit als Ministerin "ausgezeichnet vernetzt" und kenne "die Abläufe im öffentlichen Bereich und mögliche 'Schwachstellen'".
Karmasin war im Dezember 2013 auf einem ÖVP-Ticket in die rot-schwarze Regierung unter Kanzler Werner Faymann (SPÖ) gekommen. Nach den Nationalratswahlen 2017 schied sie aus der Politik aus und gründete ein neues Unternehmen. Danach soll sie aus Sicht der WKStA weiter "krumme" Geschäfte gemacht haben, indem sie von Mai 2019 bis Mitte 2021 wettbewerbsbeschränkende und damit rechtswidrige Absprachen in mehreren Vergabeverfahren inszenierte. Dem Sportministerium wurden demnach mehrere Studien - etwa zu den Themen "Motivanalyse Bewegung und Sport" und "Frauen im Vereinssport" - angeboten, für die Karmasin den Zuschlag erhielt, weil sie zuvor ihre Ex-Mitarbeiterin Beinschab und eine weitere Meinungsforscherin dazu gebracht haben soll, mit ihr inhaltlich abgesprochene, preislich höher gelegene Anbote zu legen.
Wie es auf APA-Anfrage am Freitagnachmittag aus dem Sportministerium hieß, wurde Karmasins Institut mit zwei in der Festnahmeanordnung erwähnten Studien - eine zum Thema "Motivanalyse Bewegung und Sport" im Mai 2019, eine zweite zum Thema "Frauen im Vereinssport im Juli 2020 - tatsächlich beauftragt. Die Studien wurden auch veröffentlicht und abgegolten. Bei einer dritten, Mitte 2021 initiierten Studie gab es seitens des Ministeriums aus Compliance-Gründen Bedenken, so dass Karmasin ihr Anbot zurückgezogen habe, sagte ein Sprecher.
Neben Untreue als Beteiligte, Bestechung als Beteiligte und dem Vergehen gegen wettbewerbsbeschränkende Absprachen wird gegen Karmasin auch wegen Geldwäscherei ermittelt. Karmasin soll einen Teil ihrer aus strafbaren Handlungen stammenden Einkünfte verschleiert haben, indem die Firma ihres Ehemanns Scheinrechnungen für angebliche Leistungen in Höhe von rund 52.0000 legte, die in Karmasins Buchhaltung Aufnahme fanden.
Für Karmasin gilt wie für alle anderen Beschuldigten in der ÖVP-Inseraten-Affäre die Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen der WKStA richten sich neben Karmasin vor allem gegen Sebastian Kurz, den ehemaligen Kabinettschef und Generalsekretär des Finanzministeriums und späteren ÖBAG-Chef Thomas Schmid, mehrere enge Kurz-Vertraute sowie die Medien-Macher Wolfgang und Helmuth Fellner.