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Katalog zu Ausstellung am "Steinhof" präsentiert

Beim Durchlesen und Blättern in den Abbildungen sind Beklemmung bis hin zu Übelkeit die Begleiter. Am Mittwoch wurde in Wien der von Herwig Czech, Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz (Herausgeber) zusammengestellte Katalog zur Ausstellung in der Gedenkstätte Steinhof im Otto-Wagner-Spital präsentiert. "Der Krieg gegen die 'Minderwertigen'", lautet der Titel der Publikation.

"Zur Geschichte der NS-Medizin in Wien" - das ist der Untertitel, der die eigentliche Wahrheit präsentiert. Bodenlose Menschenverachtung und Bestialität bestimmten 1938 bis 1945 wesentliche Teile der Medizin in Österreich unter der Nazi-Herrschaft. Im Anschluss an den Zusammenbruch des Regimes folgten in vieler Hinsicht Vergessen und Verdrängen. "Es ist unsere unumgängliche Pflicht, die dunklen Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten und sichtbar zu machen - und zwar in allen Facetten. Eine der grausamsten Facetten waren die Verbrechen, die sich während des Nationalsozialismus in der Krankenanstalt am Steinhof bzw. am Spiegelgrund zugetragen haben", schreibt Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im Vorwort. Die Verbrechen dort seien gerade deshalb so "unbegreiflich und verabscheuungswürdig, da die Medizin damals genau in ihr Gegenteil pervertiert wurde - anstatt zu heilen und zu helfen, wurde sie mit zu einem Instrument des Folterns und Tötens".

Mehr als 7.500 Menschen, davon rund 800 Kinder, wurden "Am Spiegelgrund" getötet. Erst ab 1978 begann mit den Aussagen des "Spiegelgrund"-Opfers Friedrich Zawrel und deren Publikation die Aufarbeitung der Verbrechen. Noch rund 20 Jahre dauerte es, bis mit dem Psychiater, Gerichtsgutachter und SPÖ-Mitglied Heinrich Gross eine der zentralen Figuren durch eine Anzeige des Dokumentationsarchivs endlich in den Blickpunkt der Justiz geriet.

Der mehr als 240 Seiten dicke Band ist kein Ausstellungskatalog im eigentlichen Sinn. Er spannt vielmehr den Bogen über die zum überwiegenden Teil beschämende Rolle der Psychiatrie in der Geschichte bis zur jüngeren Vergangenheit. Die Entwicklung der Wiener "Irrenpflege" mit dem Übergang vom "Narrenturm" im Alten AKH zur Klinik "Am Steinhof" ist der Beginn. "Rassenwahn und Menschenzucht" als eugenische Themen schon lange vor dem Nationalsozialismus sind genauso Thema wie die "Reinigung des Volkskörpers", die in Deutschland zwischen 1933 und 1938 einsetzte. Eine fehlgeleitete Wissenschaft (Anthropologie), "Erb- und Rassenpflege", die Kontrolle der Fortpflanzung durch Eheverbote und Zwangssterilisationen - und schließlich die Vernichtungsaktion "T4" von Behinderten und psychisch Kranken, die Verbindung der verbrecherischen Machenschaften zum Holocaust sowie die Verfolgung und Vernichtung angeblich Schwererziehbarer bis hin zum "Mord durch Hunger" sind nur einige der Themen des Werkes.

"Die Grausamkeit der 'Mitleidigen' - Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit 1. Jänner auf die Ostmark ausgedehnt", hieß es am 29. Dezember 1938 im "Völkischen Beobachter". "Hier trägst Du mit - Ein Erbkranker kostet bis zur Erreichung des 60. Lebensjahres im Durchschnitt 50.000 Reichsmark", lautete der Slogan eines NS-Plakats, das in der Publikation abgedruckt wird. Unter dem späteren Professor für Psychiatrie (ab 1954) an der Universität Graz, Hans Bertha, stieg die Sterblichkeit der "Patienten" am "Steinhof" von 22 Prozent im Jahr 1944 auf 43 Prozent im Jahr 1945. Das war Mord durch Hunger, dem rund 3.500 Patienten zum Opfer fielen. Der Auszug aus dem Totenbuch der "Kinderfachabteilung" des "Spiegelgrunds" und die daneben abgebildeten Fotos eines kleinen Mädchens (gestorben 1942) aus deren "Krankengeschichte" setzen ein Schlaglicht darauf, wozu menschliche Bestien fähig sind, wenn man sie loslässt.

Mit Kapiteln zur Vertreibung jüdischer Ärzte und Wissenschafter aus Wien, der "stillen Amnestie der NS-Ärzte und Verdrängung der Opfer" nach dem Zweiten Weltkrieg und dem "Fall Heinrich Gross" als "Der lange Schatten der NS-Psychiatrie" rollt der Katalog allerdings eine Bandbreite zeithistorischer Themen auf, die den Rahmen eines reinen Ausstellungskatalogs auf beste - aber durch die aufgebotenen Dokumente erschütterndste - Art gigantisch übersteigt. Am Ende stehen die wörtlichen Berichte von "Spiegelgrund"-Überlebenden.