Noch am späten Dienstagabend hatte das Präsidium der FPÖ grünes Licht gegeben: Die Freiheitlichen haben die ÖVP rund um ihren neuen geschäftsführenden Obmann Christian Stocker damit offiziell zu Gesprächen eingeladen. Dass "seine Hand weiter ausgestreckt" sei, hatte FPÖ-Chef Herbert Kickl schon in einem Statement Dienstagnachmittag erklärt. Und die Einladung direkt mit einer Drohung versehen. Sollte er mit der ÖVP keinen "ehrlichen Partner" am Verhandlungstisch haben, sehe er kein Problem, einen anderen Weg einzuschlagen. "Dann gibt es eben Neuwahlen", mahnte Kickl.
Neuer ÖVP-Chef Stocker geht Regierungsverhandlungen mit der FPÖ ein - und stellt Prinzipien klar
Nach der offiziellen Einladung der Freiheitlichen an die ÖVP äußerte sich auch Obmann Christian Stocker zum weiteren Ablauf der Regierungsbildung. Die Einladung Kickls habe er angenommen, verkündete Stocker. Auch er machte aber klar, dass auch die Volkspartei Ansprüche an die Verhandlungen stellen werde.

Das dürfte die Volkspartei abermals gehörig unter Druck gesetzt haben. Stocker hatte schon kurz nach seiner Übernahme des Parteivorsitzes angekündigt, zu Gesprächen mit der FPÖ bereit zu sein. Am Mittwoch äußerte sich der ÖVP-Chef nun zur offiziellen Einladung.
"Österreich ist in einer durchaus ernsten Situation", betonte Stocker gleich zu Beginn seines Statements. Nach der Wahl am 29. September habe man sich bemüht, eine Regierung zu bilden - gemeinsam mit SPÖ und Neos. In dieser Zeit habe sich einmal mehr gezeigt, dass es nicht möglich sei, gemeinsam Kompromisse zu finden. Seitdem habe sich die Lage verändert. Dadurch, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Regierungsauftrag an Herbert Kickl von der FPÖ gegeben habe, müsse man Verantwortung übernehmen. Die Demokratie sei vielen Gefahren ausgesetzt. Teuerungen, Kriege und Terrorismus: "Leider findet das auch auf unserem Kontinent statt."
Stocker macht rote Linien klar
Daher brauche es eine starke Demokratie und verbündete Partner - in Form einer starken, "wenn auch verbesserten" Europäischen Union, wie Stocker betonte. "Zusammengefasst: Souveränität Österreichs statt Abschottung." Man wolle keine Abhängigkeit von Russland. Der ÖVP-Politiker betonte mit Blick auf den künftigen Verhandlungspartner weitere Grundsätze der Partei, etwa die Achtung der Grundrechte, die Erinnerung an die eigene Geschichte und den Kampf gegen den Antisemitismus. Dafür brauche es auch eine vielfältige und unabhängige Medienlandschaft, so Stocker.
Stocker: "Es braucht ehrliche Antworten"
Am Dienstagabend habe Herbert Kickl ihn zum Gespräch eingeladen, leitete Stocker dann auf die wohl drängendste Frage ein: ob die ÖVP die Einladung, wie sie bereits am Wochenende angekündigt hatte, nun auch offiziell annehmen würde. Er wolle das Gespräch mit Kickl führen: "Dafür braucht es aber ehrliche Antworten", stellte Stocker klar und verwies dabei unter anderem auf die Einstellung zur Europäischen Union. Es stelle sich auch die Frage, ob die FPÖ ehrlich dazu bereit sei, Verantwortung zu übernehmen - eine Anspielung auf die Rede Herbert Kickls vom Vortag, in der dieser die ÖVP vor Unehrlichkeit gewarnt hatte. Die Gespräche würden nun zeigen, ob die FPÖ unter diesen Umständen als Koalitionspartner mit der ÖVP infrage komme.
Und Stocker leistete sich in seinem Statement noch einen weiteren Seitenhieb auf die FPÖ: Der ÖVP-Obmann ließ nach seinem Pressestatement explizit Fragen zu - die Freiheitlichen hatten das bei ihrer Pressekonferenz am Dienstag nicht getan.
Ein erstes Zusammentreffen zwischen Kickl und Stocker fand noch am Mittwochnachmittag statt. Weder die FPÖ noch die ÖVP wollten sich im Anschluss dazu äußern, man habe Vertraulichkeit vereinbart, hieß es.
