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Australischer Kardinal George Pell verhaftet

Der australische Kurienkardinal und frühere Papst-Vertraute George Pell ist nach seiner Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs verhaftet worden. Ein Gericht im australischen Melbourne ordnete am Mittwoch eine Überstellung des 77-Jährigen in eine Untersuchungshaftanstalt an. Zuvor hatten seine Anwälte einen Antrag zurückgezogen, dass der Geistliche gegen Kaution auf freiem Fuß bleiben darf.

Das Strafmaß soll am 13. März verkündet werden
Das Strafmaß soll am 13. März verkündet werden

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft drohen dem früheren Vatikan-Finanzchef bis zu 50 Jahre Haft. Das Strafmaß soll am 13. März verkündet werden.

Pell war im Dezember schuldig gesprochen worden, sich Mitte der 1990er Jahre in der Kathedrale von Melbourne an zwei Chorknaben vergangen zu haben. Er ist der bisher ranghöchster Vertreter der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs schuldig gesprochen wurde. Der Schuldspruch wurde wegen eines anderen laufenden Verfahrens monatelang unter Verschluss gehalten und erst am Dienstag bekannt. Der Kardinal hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Seine Anwälte haben Berufung gegen seine Verurteilung eingelegt.

Bei einem Gerichtstermin am Mittwoch warf Staatsanwalt Mark Gibson dem Kardinal vor, keine "Reue" gezeigt zu haben. "Er hat nicht die Verantwortung für seine Taten übernommen." Der Vorsitzende Richter Peter Kidd warf Pell eine "herzlose, schamlose Straftat" vor. Der Kardinal habe Vertrauen missbraucht und zwei "verwundbare" Buben ausgenutzt, die der Kirche anvertraut worden waren. Nach Ende der Anhörung wurde Pell aus dem Gerichtssaal geführt.

Vatikansprecher Alessandro Gisotti erklärte am Dienstagabend, Pell sei nicht mehr Leiter des von Papst Franziskus eingerichteten vatikanischen Wirtschaftssekretariats. Die Amtszeit des "Präfekten des Wirtschaftssekretariats des Vatikan" beträgt üblicherweise fünf Jahre - Pells Mandat wäre folglich in diesem Jahr ausgelaufen. Der Kardinal war wegen der Missbrauchsvorwürfe bereits seit geraumer Zeit von dem Posten beurlaubt.

Der Schuldspruch gegen Pell ist ein neuer harter Schlag für die von zahlreichen Missbrauchsskandalen erschütterte katholische Kirche. Nach der erstinstanzlichen Verurteilung Pells in Australien leitet der Vatikan ein Kirchenverfahren gegen Pell ein. Mit dem Verfahren wird sich die Glaubenskongregation befassen "auf die Weise und in dem Zeitrahmen, der durch das kanonische Recht vorgesehen" sei, sagte Gisotti, am Mittwoch.

Die Verurteilung des Kardinals stößt in australischen Medien laut Kathpress auch auf Kritik. Vor allem Kommentatoren des konservativen Medienkonzerns News Corp kritisierten das Urteil wegen einer aus ihrer Sicht zu schwachen Beweislage. Miranda Devine vom "Daily Telegraph" und der Kolumnist der "Herald Sun", Andrew Bolt, erklärten Pell in ihren Meinungsstücken für "unschuldig" und zum "Sündenbock" für die "Sünden der Kirche". Sowohl Devine als auch Bolt haben wiederholt geschrieben, sie seien von Pells Unschuld überzeugt.

Auf Kritik stieß die Verurteilung aber auch bei dem progressiven Jesuiten und Rechtsanwalt Frank Brennan, der den Prozess streckenweise beobachtet hatte. "Mich hat das Urteil sehr überrascht", schreibt er. Seine Analyse wurde auch in eher pellkritischen katholischen Medien wie der französischen Zeitung "La Croix" und dem britischen "Tablet" veröffentlicht. "Tatsächlich war ich am Boden zerstört. Meine einzige Schlussfolgerung ist die, dass die Jury viele der von Pells Anwalt vorgebrachten eindrucksvollen Kritiken der Aussagen des Klägers ignoriert haben." Den vom einzigen Zeugen vorgebrachten mutmaßlichen Tathergang nannte Brennan widersprüchlich.

Auch liberale australische Medien kommentierten die Verurteilung des ehemaligen vatikanischen Finanzministers kritisch. Pell sei auf Basis "nicht belegter Aussagen eines einzigen Zeugen, ohne forensische Beweise, ohne bestimmte Verhaltensmuster oder ein Geständnis" schuldig gesprochen worden, schreibt die in Melbourne erscheinende Zeitung "The Age".

Die Zweifel der Medien an Pells Schuld beziehen sich in erster Linie auf den beschriebenen Tathergang. Demnach soll der frühere Bischof von Melbourne sich beim Auszug nach einem feierlichen Hochamt in der Sakristei der Kathedrale bei geöffneter Tür vor zwei Buben entblößt, einen von ihnen zum Oralsex gezwungen und die Buben unsittlich berührt haben.

Seit Beginn der Hauptverhandlung im Sommer 2018 galt ein richterliches Totalverbot der Berichterstattung über den Prozess. Erst seit Verkündung des Urteils zu Wochenbeginn haben die Medien Einblick in die Plädoyers der Anklage und der Verteidigung.

Der Schuldspruch für Pell wegen sexuellen Missbrauchs wurde nur zwei Tage nach Abschluss einer vatikanischen Kinderschutz-Konferenz bekannt. Zu der Konferenz hatte Papst Franziskus die Präsidenten aller nationalen Bischofskonferenzen im Vatikan zusammengerufen.

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