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Istanbuls Bürgermeister abgesetzt: Die EU muss Erdoğan die Rote Karte zeigen

Auch wenn die Türkei für die Europäische Union wichtig ist. Der Status als Beitrittskandidat ist verspielt.

Gerd Höhler
İmamoğlus Festnahme am Mittwoch hat die größten Straßenproteste in der Türkei seit mehr als zehn Jahren ausgelöst.
İmamoğlus Festnahme am Mittwoch hat die größten Straßenproteste in der Türkei seit mehr als zehn Jahren ausgelöst.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hat seinen gefährlichsten Rivalen ausgeschaltet. Es blieb am Sonntag nicht beim Haftbefehl gegen Ekrem İmamoğlu. Der populäre Istanbuler Bürgermeister wurde auch umgehend seines Amtes enthoben. Ihm droht ein Strafprozess, an dessen Ende langjährige Haft und ein politisches Berufsverbot stehen könnten.

İmamoğlu ist nur der Anfang. Erdoğan ist offenbar entschlossen, jeden aus dem Weg zu räumen, der seine Macht infrage stellt. Die Massenproteste scheint er nicht zu fürchten, er kontrolliert einen schlagkräftigen Sicherheitsapparat.

Für die Partner und Verbündeten der Türkei stellt sich nun die Frage: Wie umgehen mit einem Land, das immer schneller zu einem autoritären Staat verkommt? Aus Washington braucht Erdoğan keine Kritik zu fürchten, im Gegenteil. Die EU hat zwar bereits wortreich protestiert. Aber Sanktionen hat Erdoğan wohl nicht zu erwarten. Dazu erscheint die Türkei zu wichtig - als Nato-Mitglied an der Südostflanke Europas, als Handelspartner und als Investitionsstandort. Auch in der Migrationspolitik sitzt Erdoğan an einem langen Hebel.

Aber trotz dieser Abhängigkeiten muss die EU Erdoğan jetzt die Rote Karte zeigen. Er hat den Status seines Landes als EU-Beitrittskandidat endgültig verspielt. Die Kopenhagener Kriterien, die ein Beitrittskandidat einhalten muss - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte -, erfüllt die Türkei nicht mehr. Wenn die EU ihre eigenen Werte und Regeln ernst nimmt, ist es jetzt an der Zeit, klare Kante zu zeigen.