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Die nächste Sanktionswelle wird vorbereitet

Der Westen hat überraschend hart und schnell reagiert. Soll nachgelegt werden?

NATO-Außenminister in Brüssel (von links): Jean-Yves Le Drian (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschland), Antony Blinken (USA) und Mélanie Joly (Kanada).
NATO-Außenminister in Brüssel (von links): Jean-Yves Le Drian (Frankreich), Annalena Baerbock (Deutschland), Antony Blinken (USA) und Mélanie Joly (Kanada).

Freitag, Tag neun im Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine. Wieder treffen einander westliche Spitzenpolitiker in der EU-Hauptstadt Brüssel. Es ist Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Den Beginn machen die NATO-Außenminister am frühen Vormittag. Generalsekretär Jens Stoltenberg lehnt zu Beginn die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine ab. Das Bündnis wird "nicht in den Krieg eintreten". Er betont aber, die NATO erwäge eine weitere "signifikante Erhöhung" ihrer Truppenstärke in den östlichen Mitgliedsländern.

Für die nächsten Tage zeigt er sich pessimistisch. Es wird "noch mehr Tote, noch mehr Leid und noch mehr Zerstörung" geben. Grund ist das ununterbrochene russische Bombardement der großen ukrainischen Städte. Die Taktik des Kremls ist offensichtlich: Die Moral der Bevölkerung und des Widerstands soll gebrochen werden. Zivile Opfer werden in Kauf genommen.

Zur NATO eingeladen sind auch die Vertreter von Schweden und Finnland. Beide sind nicht Mitglieder der Verteidigungsallianz, in beiden Ländern gibt es aber erstmals Mehrheiten für einen Beitritt. Finnlands Chefdiplomat Pekka Haavisto mahnt zu Zurückhaltung. Jetzt sei nicht der Zeitpunkt, über einen Beitritt zu reden. Finnland grenzt an Russland und will die Situation nicht zusätzlich anheizen.

Wladimir Putin beteuert am Freitag, Russland hege "keine bösen Absichten gegen seine Nachbarn", warnt aber vor jeder Eskalation.

Schließlich übersiedelt der Tross vom NATO-Hauptquartier am Rand von Brüssel in das EU-Viertel ins Stadtzentrum, wo ein Treffen der Außenminister der Europäischen Union auf dem Programm steht. 21 NATO-Länder sind auch EU-Mitglieder, sie müssen nach dem Ortswechsel nur noch die Kollegen aus den Nicht-NATO-Ländern Österreich, Irland, Malta und Zypern begrüßen. Auch der ukrainische Minister Dymtro Kuleba ist da. Einige Amtskollegen kommen von der NATO-Sitzung mit: Antony Blinken (USA), Mélanie Joly (Kanada) und Liz Truss (Großbritannien). Das erste Mal seit dem Brexit ist ein Regierungsmitglied aus London wieder bei einem EU-Regierungstreffen dabei. Truss nannte vor ihrer Abreise aus London "entscheidend, dass Großbritannien und unsere Verbündeten eine starke und geeinte Front gegenüber der russischen Aggression aufrechterhalten und mit einer Stimme sprechen" - eine für die Johnson-Regierung unübliche Annäherung.

Blinken zeigt Respekt. "Historisch" nennt er die rasche Reaktion der EU. Man sei bei allem effektiver, wenn man es zusammen tue.

Deutschlands Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) kündigt an: "Wir werden weitere Maßnahmen ergreifen, die gezielt in das Machtzentrum Putins treffen." Womit sie vor allem das Vermögen der russischen Oligarchen und ihrer Familien gemeint haben dürfte: Yachten, Immobilien, Treuhandfonds.

Frankreich ist hier voraus. Am Mittwoch wurde bei Marseille die Luxusyacht von Igor Setschin beschlagnahmt, Chef des russischen Ölkonzerns Rosneft und enger Vertrauter des Kremlchefs.

Zudem stand der Ausschluss weiterer russischer Banken vom globalen Zahlungssystem Swift zur Debatte. Hier scheint die Mehrheit der Länder noch abwarten zu wollen. Die Abkoppelung der ersten sieben Banken tritt erst in einigen Tagen in Kraft. Man will die Auswirkungen abwarten.

In Stellung gebracht wird aber ein neues schweres Geschütz: Maßnahmen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. "Wir erörtern Optionen", verlautet aus der EU-Kommission. Die Einhebung von Importzöllen oder gar ein Ausschluss Russlands wären eine deutliche Verschärfung der Sanktionen. Fast 40 Prozent des russischen Handels gingen 2020 in die EU. Ein Stopp der Gas- und Ölimporte aus Russland ist noch kein Thema. US-Präsident Joe Biden will höhere Spritpreise vor den Zwischenwahlen zu Hause im Herbst vermeiden. Und in der EU stellt Russland rund 40 Prozent der Gasversorgung. In Brüssel und den EU-Hauptstädten wird mit Hochdruck an Alternativen gearbeitet. Kommende Woche will die Kommission eine neue Energiestrategie vorlegen. Demnach sollen unter anderem die Gasspeicher jeweils bis Oktober zu 80 Prozent gefüllt sein müssen. Weniger Abhängigkeit von Russland würde "auch weniger Geld für die Kriegskasse" Moskaus bedeuten, betonte Kommissionschefin Ursula von der Leyen dieser Tage. Mehr als die Hälfte aller Einnahmen Russlands stammt aus dem Verkauf von Öl und Gas. Die Europäische Union ist Hauptkunde.

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