Für Papst Franziskus ist die Verurteilung Pells kurz nach dem großen Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan eine weitere Hiobsbotschaft. Der Vatikan will mit möglichen Konsequenzen in dieser Sache allerdings warten und verwies auf ein anstehendes Berufungsverfahren.
Zunächst muss das genaue Strafmaß für Pell festgelegt werden. Vermutlich geschieht dies Mitte März. Pell drohen insgesamt bis zu 50 Jahre Haft. Über seine Anwälte wies er am Dienstag abermals alle Vorwürfe zurück. Die Entscheidung gegen den Kurienkardinal erging bereits im Dezember, wurde bisher aber unter Verschluss gehalten. Wegen einer Anordnung des Gerichts durfte darüber nicht berichtet werden. Am Dienstag hob die Justiz diese Nachrichtensperre auf.
Als Finanzchef war der Australier praktisch die Nummer drei des Vatikans. Pell gehörte auch zu den engsten Beratern des Papstes. Wegen der Vorwürfe hatte er sich im Sommer 2017 beurlauben lassen. Seither lebt er wieder in seiner Heimat Australien, im Vatikan war er nicht mehr. Seine fünfjährige Amtszeit als Präfekt des Wirtschaftssekretariats - so der offizielle Titel - ist seit diesem Sonntag eigentlich regulär vorbei. Allerdings hat der Vatikan bisher nicht offiziell gemacht, dass Pell das Amt nicht mehr innehat. Einen Nachfolger für das wichtige Amt hat der Papst noch nicht ernannt. Unklar ist, ob Pell Kardinal und Priester bleiben darf.
Allerdings erklärte Papstsprecher Alessandro Gisotti am Dienstag, dass der Vatikan auf das Berufungsverfahren warten werde. Pell habe "das Recht, sich bis in die letzte Instanz zu verteidigen". Gisotti sprach dennoch von einer "schmerzhaften Nachricht". Bereits verhängte Maßnahmen würden weiterhin gelten, sagte Gisotti. Pell dürfe - "bis die Fakten definitiv geklärt sind" - weder sein Priesteramt öffentlich ausüben noch Kontakt mit Minderjährigen haben.
Für Franziskus hängt seine Glaubwürdigkeit auch vom Umgang mit dem Fall Pell ab, zumal der Pontifex beim großen Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan erst am Sonntag eine harte Hand gegen Täter und Vertuscher angekündigt hatte.
Das Urteil gegen Pell stammt bereits vom 11. Dezember. Alle zwölf Geschworenen waren sich einig. Gegen Kaution ist Pell jedoch auf freiem Fuß. An diesem Mittwoch muss er zu einem weiteren Termin vor Gericht. Dabei könnte seine Inhaftierung beschlossen werden. Die Verteidigung hat bereits Berufung eingelegt. Pells Anwalt Paul Galbally erklärte: "Kardinal Pell hat immer seine Unschuld beteuert. Das macht er auch weiterhin."
Gegen Pell gibt es bereits seit Jahren verschiedene Missbrauchsvorwürfe. Die Fälle, wegen denen er nun verurteilt wurde, reichen bis in die Jahre 1996/97 zurück. Demnach zwang er einen 13-jährigen Buben nach einem Sonntagsgottesdienst zum Oral-Sex und belästigte einen anderen ebenfalls. Einige Monate später soll er einen der Buben erneut bedrängt haben. Eines der Opfer, ein inzwischen Mitte 30 Jahre alter Mann, sagte vor Gericht als Belastungszeuge aus. Das andere Opfer ist tot.
Ursprünglich hätte sich der Kardinal wegen anderer Vorwürfe, die bis in die 1970er-Jahre zurückreichen, einem weiteren Verfahren stellen sollen. Damit wurde bisher auch die Nachrichtensperre begründet. Die Justiz wollte damit verhindern, dass das zweite Verfahren beeinträchtigt wird. Die Staatsanwaltschaft verzichtete nun jedoch darauf, weitere Vorwürfe vor Gericht zu bringen. Damit war der Weg für die Aufhebung der Nachrichtensperre frei.
Nun muss sich auch Australiens oberster katholischer Bischof, Mark Coleridge, wegen einer nicht näher bekannten Anschuldigung im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen kirchlichen Ermittlungen stellen. Coleridges frühere Erzdiözese habe die Untersuchungen angestrengt, nachdem sich eine Frau über Coleridge beschwert habe, berichtete der australische Sender ABC am Dienstag.
Die Frau hatte den damaligen Erzbischof von Canberra und Goulburn nach eigenen Angaben im Jahr 2006 getroffen, um Vorwürfe sexuellen Missbrauchs an Kindern zu besprechen. Eine von ihr geäußerte Beschwerde habe Coleridge abgewiesen, sagte sie. Worum es in der Beschwerde ging und gegen wen sich die Vorwürfe richteten, ist bisher offen.
Ein Sprecher der Erzdiözese erklärte der Deutschen Presse-Agentur, eine Untersuchung sei eingeleitet worden, nachdem die Kirche vor ein paar Monaten von den Behauptungen Kenntnis erhalten habe. Coleridge habe bei den Ermittlungen kooperiert und die Anschuldigungen "stark widerlegt". Die Frau habe sich dann entschieden, die Vorwürfe an die Medien heranzutragen.
Coleridge ist seit 2012 Erzbischof von Brisbane und Präsident der nationalen Bischofskonferenz Australiens. Beim Anti-Missbrauchsgipfel der katholischen Kirche im Vatikan hatte er jüngst von einer "kopernikanischen Revolution" gesprochen, die angesichts der Missbrauchsskandale nötig sei, um als Kirche aus der Krise zu finden.
Die katholische Kirche steht wegen Missbrauchsvorwürfen in zahlreichen Ländern unter Druck. Zum Abschluss eines Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan hatte Papst Franziskus am Sonntag versprochen, dass solche Fälle nicht länger vertuscht würden. In der Kritik kam der Pontifex allerdings, weil der Abschluss des Treffens mit den Spitzen der katholischen Kirche recht vage blieb.