Der Killer klingelt. Das Opfer öffnet ihm. Noch auf der Schwelle erschießt der Mörder den Journalisten, der zu viel wissen wollte. Dann taucht im Flur eine Frau auf. Auch sie, die Verlobte des Getöteten, muss sterben. Alles andere, sagt der Mörder später vor Gericht, wäre zu kompliziert gewesen.
Die Szene, die aus einem schlechten Krimi stammen könnte, hat sich in der Slowakei tatsächlich so abgespielt. Zwei Jahre ist es an diesem Freitag her, dass ein Profikiller den Investigativ-Journalisten Jan Kuciak erschoss, weil er nach Meinung des Mörders und seiner Auftraggeber "die falschen Sachen geschrieben hat". In Bratislava können selbst die erfahrensten Beobachter das Geschehen bis heute kaum fassen. "Wir haben alle gedacht, dass die Slowakei auf einem guten Weg ist", sagt der Politikwissenschafter Grigori Meseznikov. "So etwas hat niemand für möglich gehalten."
Mit "so etwas" meint er nicht nur den Mord an dem erst 27-jährigen Kuciak und seiner Verlobten. Sondern vor allem das, was damit zutage kam: "Mafiastrukturen, die den gesamten Staat - Politik, Wirtschaft, Justiz, Geheimdienste, Polizei - durchzogen haben".
Oberster Pate war demnach der Finanzinvestor Marian Kocner, in dessen Imperium Kuciak hartnäckig recherchiert hatte. "Jans Mut wurde ihm zum Verhängnis, aber sein Tod wurde auch zu einem Wendepunkt in der Slowakei", sagt Meseznikow.
Seit Jänner muss sich der heute 56-jährige Kocner vor einem Sondergericht verantworten, gemeinsam mit seiner Vertrauten Alena Zsuzsova sowie dem geständigen Mörder und einem Komplizen. Allen Angeklagten drohen bis zu 25 Jahre Haft. Der "Pate" selbst war offenbar bis kurz vor Prozessbeginn fest davon überzeugt, dank seiner Netzwerke unantastbar zu sein. Noch aus der U-Haft ließ Kocner seinen Vertrauten im Beamten- und Sicherheitsapparat schriftliche Anweisungen erteilen, wie sie sich zu verhalten hätten. Womit er nicht gerechnet hatte, das war das riesige Aufklärungsbedürfnis der slowakischen Öffentlichkeit.
Journalisten gelang es, Kocners aus dem Gefängnis geschmuggelte Notizen einzusehen. Die Veröffentlichung des Materials sandte im vergangenen Jahr eine weitere Schockwelle durch die Slowakei. Dabei waren schon im Frühjahr 2018, nach dem Mord an Kuciak, Hunderttausende auf die Straße gegangen, um ein "Ende des Mafiasystems" zu fordern. Zumindest vorläufig hatten sie Erfolg.
Nur wenige Wochen nach den Todesschüssen auf den Journalisten traten unter dem Druck der Öffentlichkeit Innenminister Robert Kalinak und Ministerpräsident Robert Fico zurück. Die beiden verhinderten auf diese Weise immerhin Neuwahlen, die der Opposition vermutlich gewonnen hätte.
Was sie nicht verhindern konnten, war der Sieg der Bürgerrechtlerin Zuzanna Caputova bei der Präsidentschaftswahl 2018.