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EU debattiert Investitionspaket gegen Ukraine-Kriegsfolgen

Um die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine abzufedern, diskutieren die EU-Staaten ein neues Investitionspaket. "In einer Krise ist es immer notwendig, gegen die Krise zu investieren", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Versailles. "Investitionen sind jetzt notwendig und wichtig, genauso auch, dass man sie gemeinschaftlich durchführt."

Nehammer bei EU-Gipfel in Versailles
Nehammer bei EU-Gipfel in Versailles

Der französische Präsident Emmanuel Macron betonte, in erster Linie seien nun die europäischen Bürger und die Unternehmen vor den steigenden Energiepreisen schützen. Die EU müsse gegenüber Russland bei Gaslieferungen auf "alle Szenarien" vorbereitet sein. Bei diesem Gipfel gehe es um eine strategische Weichenstellung. Danach müsse die EU neue Investitionen aufstellen, etwa in den Bereichen Verteidigung und Energie. Dazu brauche es eine gemeinsame europäische Investitionsstrategie und koordinierte nationale Pläne.

Paris hatte einen erneuten EU-Hilfsfonds nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds ins Gespräch gebracht, mit dem die europäische Verteidigung und Energie-Versorgungssicherheit gestärkt werden soll. Der Corona-Fonds hat ein Volumen von 750 Milliarden Euro, die EU-Kommission kann dabei selbst Kredite aufnehmen. In etlichen EU-Staaten wie zum Beispiel den Niederlanden stieß der französische Vorschlag aber auf Skepsis.

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zeigte sich ebenfalls offen für den Vorschlag eines schuldenfinanzierten EU-Fonds. "Italien und Frankreich sind auch auf dieser Front vollständig auf einer Linie", sagte Draghi vor den Gesprächen laut der Deutschen Presse-Agentur. Die europäische Wirtschaft wachse noch, es habe aber eine Verlangsamung gegeben, und man beobachte, dass viele Rohstoffe knapp seien, so Draghi. Darauf müsse man genauso schnell und überzeugt antworten, wie man auf die russische Aggression reagiert habe.

Die EU hat bisher vier Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Weitere Strafmaßnahmen sind offenbar in Arbeit. "Wir werden sicherstellen, dass alle Sanktionen vollständig umgesetzt werden. Und wir sind bereit, schnell zu agieren mit weiteren Sanktionen, falls nötig", heißt es in einem der APA vorliegenden Entwurf des informellen Treffens.

Der Ukraine-Krieg überschattet den am Donnerstag beginnenden, zweitägigen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs. Bei dem Gipfel will die EU angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine auch eine Stärkung ihrer Verteidigungskapazitäten vereinbaren, darunter auch höhere Verteidigungsausgaben.

Keiner habe mit einem neuen Krieg auf europäischen Boden mit konventionellen Waffen gerechnet, so Nehammer. "Das Gleichgewicht des Schreckens von atomaren Mächten funktioniert offensichtlich nicht mehr", fügte er hinzu. Österreich müsse seine Neutralität verteidigen, deshalb werde man das Verteidigungsbudget erhöhen.

Die EU-Staaten beraten zudem beim Gipfel über das EU-Beitrittsgesuch der Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte eine unverzügliche Integration seines Landes in die EU gefordert. Unter den Mitgliedstaaten gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen: Während unter anderem Österreich und Deutschland auf die Bremse steigen, verlangen vor allem östliche EU-Staaten wie Polen und Slowenien eine umgehende Beitrittsperspektive für die Ukraine.

Nehammer zeigte sich am Donnerstag erneut zurückhaltend. Ein solches Beitrittsgesuch sei "extrem langwierig und sehr komplex". Die Ukraine brauche jetzt Solidarität sowie rasche und unbürokratische Hilfe. Es gebe Beitrittsgesuche auch von Georgien und Moldawien, ebenso seien Staaten am Westbalkan massiv an einem Beitritt interessiert.

Macron betonte, die EU sollte ein Signal senden, müsse aber dabei genau abwägen. "Können wir heute einen Beitrittsprozess mit einem Land eröffnen, das sich im Krieg befindet? Das glaube ich nicht. Sollten wir die Türe zuschlagen und sagen: niemals? Das wäre ungerecht. Können wir auf das Gleichgewicht in der Region vergessen? Da muss man aufpassen." Auch Moldawien sei "sehr fragil".

EU-Diplomaten hatten statt eines Beitritts für die Ukraine eine "Assoziierung plus plus" ins Gespräch gebracht, also eine engere Anbindung der Ukraine an den EU-Binnenmarkt. Der französische Europaminister Clement Beaune unterstrich das Ziel der EU, sich von russischen Energielieferungen unabhängig zu machen.

Die EU wird dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zufolge russisches Gas oder Öl nicht mit Sanktionen belegen. Die Entscheidung zu dem wichtigsten Thema sei gut ausgefallen. "Es wird keine Sanktionen auf Gas oder Öl geben, die Energielieferung an Ungarn ist also sicher", sagte Orban in einem Video, das auf seiner Facebook-Seite gepostet wurde. Länder wie Polen und Litauen hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen, den Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland zu verbieten, um dem russischen Staat seine Haupteinnahmequelle zu nehmen und die weitere Finanzierung des Krieges gegen die Ukraine zu erschweren. Staaten wie Österreich und Deutschland waren allerdings dagegen, da sie in besonders hohem Maße abhängig von russischen Energielieferungen sind.

Zur Energieversorgung gebe es eine kurz- eine mittel- und eine langfristige Perspektive für Österreich, so Nehammer. Kurzfristig seien die Energiespeicher für den nächsten Winter vollzukriegen, mittelfristig versuche Österreich von der Abhängigkeit von russischem Gas wegzukommen, "das ist ein langwieriger Prozess". Und der langfristige Prozess sei die Unabhängigkeit Österreichs von fossilen Energieträgern.

Auf der Gipfelagenda ist auch eine Debatte um ein europäisches Wachstums- und Investitionsmodell für 2030. Dabei spielen die Defizit- und Schuldenregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt eine zentrale Rolle.

KOMMENTARE (1)

Anna Gruber

Putins Begründung für die Russische Invasion „die Ukraine entnazifizieren zu wollen“ ist leider typisch und kommt aus der Hoffnung den Gegner (fast 80 Jahre nach dem Krieg) mit der Nazikeule einschüchtern und international isolieren zu können. Wie die Reaktion der Weltgemeinschaft zeigt, funktioniert dieser Propaganda-Spin aus kommunistischen Zeiten heute nicht mehr.
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