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Führt Deutschland wieder die Wehrpflicht ein?

Weil die Bundeswehr nicht "kriegstüchtig" ist, will Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius mehr Wehrdienstleistende. Seine konkreten Pläne dazu legte er nun vor.

Verteidigungsminister Boris Pistorius will einen sechsmonatigen Grundwehrdienst.
Verteidigungsminister Boris Pistorius will einen sechsmonatigen Grundwehrdienst.

Keine halbe Stunde hat Boris Pistorius über den neuen Wehrdienst bei der deutschen Armee geredet, da soll der Verteidigungsminister sagen, ob die Bundeswehr dann personell "kriegstüchtig" ist. Ein Wort, das er geprägt hat, im Oktober 2023, und das ihm jede Menge Kritik eingebracht hat. "Wenn", antwortet er, "die Modelle so greifen: Dann werden wir's."

Im Jänner hat Boris Pistorius auf eine andere Frage - ob er Kanzler könne - etwas verhaltener reagiert. Das sollten andere beurteilen. Und: "Für mich stellt sich die Frage nicht." Das war zum einen tiefgestapelt - und zum anderen nicht wahr; schon da wurde im Regierungsviertel hinter maximal halb vorgehaltenen Händen über einen Kanzlertausch getuschelt, Scholz raus, Pistorius rein.

Vorbei ist das nicht, im Gegenteil. Aber die Frage nach einer Reaktivierung der Wehrpflicht ist akuter. Außer der Kriegstüchtigkeit forderte Pistorius auch einen "Mentalitätswechsel" der Deutschen in Sachen Sicherheitspolitik - und fügte hinzu: "Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen."

In der SPD, Pistorius' und auch Olaf Scholz' Partei, grassierte prompt die Schnappatmung. Vor allem im linken Flügel ist der gediente Verteidigungsminister vielen suspekt. Gleichzeitig müssen auch sie zur Kenntnis nehmen: Sein Hang zum Klartext schadet Pistorius nicht, im Gegenteil. Seit Monaten führt er das Vertrauens-Ranking des Umfrageinstituts forsa an. Bei niemandem sonst sehen die Befragten die Republik so sehr "in guten Händen". Aktuell kommt Pistorius auf 57 von 100 Punkten, Olaf Scholz auf 37, Friedrich Merz auf 34.

Nun also hat Pistorius sein Konzept fertig, wie die Bundeswehr in Zeiten des Krieges in Europa wieder wirklich verteidigungsfähig werden soll. "Auswahlwehrdienst" nennt er sein Modell, das sich am schwedischen orientiert. Es kombiniert verpflichtende Elemente mit freiwilligen. Die Wehrerfassung - aktuell inexistent - soll für junge Männer verbindlich werden: Einen Fragebogen zur körperlichen Fitness und ob sie Lust auf die Bundeswehr haben, müssen die 18 Jahre alt werdenden online ausfüllen - die Frauen des jeweiligen Jahrgangs können es tun. 700.000 Menschen pro Jahr würden den Bogen erhalten, 400.000, sollen Militärplaner errechnet haben, müssten antworten, 100.000 könnten Interesse bekunden. Zur Musterung sollen laut Pistorius' Plan 40.000 bestellt werden. Ausbilden könnte die Bundeswehr aktuell gerade einmal 5000 Rekrutinnen und Rekruten, "aufwachsend", sagt Pistorius. Er plant einen sechsmonatigen Grundwehrdienst - und hofft auf möglichst viele, die bis auf 23 Monate verlängern.

Im März plädierten laut forsa 52 Prozent der Deutschen für die Wehrpflicht, Yougov meldete am Wochenende, 60 Prozent seien "voll und ganz" oder "eher" für die Rückkehr zur Wehrpflicht. Der Bundeswehrverband ist ohnehin längst dafür; am Mittwochvormittag sagt sein stellvertretender Vorsitzender Marcel Bohnert: "Die Bundeswehr ist am Rand der Kapazitäten" — und meint Ausrüstung und Infrastruktur ebenso wie Personal.

Und doch findet Pistorius bisher Rückhalt eher bei der oppositionellen Union - unter deren CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg die Pflicht 2011 ausgesetzt wurde - als bei den Ampel-Koalitionären.

Dabei würde ohnehin die Pflicht zum Wehrdienst für Männer aufleben, sobald der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt. Pistorius würde den Weg dazu gern in Friedenszeiten frei machen - falls sich nicht genügend Freiwillige melden. Aber, sagt er, damit rechne er aufgrund seines Modells. Zur Motivationssteigerung verspricht er "einen anständigen Sold" und "Verpflichtungsprämien" für Längerdienende: Bargeld, Führerschein, einen Bonuspunkt bei Numerus clausus fürs Studium.

Im Grunde sei der Wehrdienst, sagt Pistorius, eine Antwort auf die Frage: "Was sind wir bereit zu tun, wenn wir angegriffen werden — darüber muss die Gesellschaft diskutieren."